Auf der Suche nach Freiheit
Abubakar Walle hat vor 20 Jahren sein Heimatland, den Senegal, verlassen, um eine bessere Zukunft zu finden. Nach Stationen in Libyen und Italien lebt er seit 2014 in Deutschland.
Walle wohnt in einer Gemeinschaftsunterkunft in Grünwald im Landkreis München. Er kann sich nicht frei bewegen. Wenn er sich außerhalb der Stadt oder des Landkreises aufhalten will, braucht er dafür eine Genehmigung des Landratsamtes.
Walle in seinem Zimmer. Knapp zehn Quadratmeter müssen ihm zum Leben und Schlafen reichen. Die Möbel wurden gestellt, etwas nach seinen eigenen Wünschen gestalten darf er nicht. „Hier gibt es praktisch keine Privatsphäre", sagt er. Walle muss sich das Zimmer mit zwei anderen Senegalesen teilen.
Jedem Flüchtling steht ein schmaler Spind als Stauraum zur Verfügung. Dort bewahrt Walle seine wenigen Habseligkeiten und sein Kochgeschirr auf. Seine Kleidung stapelt er auf dem Sofa. Fernseher, Computer oder Internetzugang - all das ist in der Unterkunft nicht vorhanden.
Walle zeigt ein aktuelles Foto seiner Mutter. Er hat sie seit seinem 16. Lebensjahr nicht mehr gesehen. Sie ist Bäuerin und hat ihn und seine Schwester nach dem frühen Tod des Vaters alleine großgezogen. Per Handy hält Walle Kontakt zu ihr. Er würde sie gerne finanziell unterstützen, doch er hat keine Arbeitserlaubnis und darf deshalb kein eigenes Geld verdienen.
Als er in Deutschland ankam, besuchte Walle Deutschkurse. Doch aufgrund einer Verletzung und der Coronakrise musste er lange aussetzen. Jetzt gibt es keinen freien Platz mehr für ihn. Walle kann sich die Sprache auch nicht selbst beibringen, denn er ist, wie viele seiner Landsleute, Analphabet. Schulbildung ist für die meisten Familien im Senegal zu teuer.
364 Euro Sozialleistung erhält Walle pro Monat. Was nach dem Kauf von Lebensmitteln übrig bleibt, gibt er für Kleidung aus. "Viele andere Flüchtlinge sind so verzweifelt, dass sie sich selbst aufgegeben haben. Aber mir ist ein gepflegtes Erscheinungsbild wichtig."
Der 35-Jährige zahlt außerdem eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio aus eigener Tasche. Der Sport sei sein "einziger Anker im Alltag", sagt er. Dabei kann er sich Ziele setzen und alles dafür tun, sie zu erreichen, ohne auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Wenn es warm ist, macht Walle manchmal seine Übungen mit altem Sportgerät auf der Terrasse der Unterkunft.
Zu der Gemeinschaftsunterkunft gehört ein großer Garten. Im Sommer verbringen die Bewohner ihre Abende oft draußen. Sie grillen, musizieren und unterhalten sich in ihrer Muttersprache Mandinka. "Das lenkt vom langweiligen und frustrierenden Alltag ab", erklärt Walle.
Wenn Walle traditionelle Gerichte aus dem Senegal kocht, fühlt er sich seiner Heimat besonders verbunden. Erinnerungsstücke oder Fotos sind ihm nicht geblieben. "Ich vermisse vor allem die Offenherzigkeit und Hilfsbereitschaft der Senegalesen."
Zum Kochen steht Walle und seinen Mitbewohnern eine veraltete Gemeinschaftsküchte zur Verfügung. Sie ist schlecht ausgestattet und heruntergekommen. Es gibt zwei Stühle, aber keinen Tisch, an dem sie sitzen und essen können.
Zwei Aushänge sind die einzigen Hinweise auf staatliche Aufsicht in der Gemeinschaftsunterkunft. Wie Walle können jedoch die meisten Bewohnre nicht lesen und nur schlecht Deutsch. Niemand kontrolliert die Einhaltung der Regeln oder den Zustand des Gebäudes. "Ich fühle mich vom deuschen Staat oft im Stich gelassen", bedauert Walle.
Da der Senegal als sogenannter "sicherer Herkunftsstaat" gilt, wurde Walles Asylantrag abgelehnt; er muss eine Abschiebung befürchten. Laut ihm ist er aber nur in der Hauptstadt Dakar wirklich sicher. In Walles Heimatregion sei Gewalt an der Tagesordnung gewesen, es habe keine Aussicht auf eine wirtschaftlich sichere Zukunft gegeben. "Es sollten doch alle Menschen auf der Welt die gleichen Chancen auf ein gutes Leben haben", sagt Walle.
Walles größter Wunsch ist es, in Deutschland arbeiten zu dürfen und auf eigenen Beinen zu stehen. "Ich möchte meinen Beitrag leisten, statt auf Kosten des Staates zu leben. Dafür werde ich weiterkämpfen und nicht die Hoffung auf eine bessere Zukunft in Freiheit und Sicherheit aufgeben."
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