Radfahren für mehr Radwege
Mehr Hupen als sonst, mehr Mittelfinger und auch mehr Beleidigungen. Dutzende Fahrradfahrer bekommen an diesem Freitagabend den Zorn der Autofahrer zu spüren. Gegen die dröhnenden Hupen einiger Autos kämpft ein leiser Schwall von Klingeln an, der an jeder Kreuzung lauter wird und dann wieder leiser. Die „Critical Mass“ bahnt sich ihren Weg durch München. Es handelt sich dabei um ein weltweites Fahrrad-Kollektiv, das sich jeden letzten Freitag in Metropolen der ganzen Welt trifft, um für bessere Fahrradwege zu protestieren - auch in München.
An diesem nasskalten Abend erreicht die Demo ihren Höhepunkt auf der Stadelheimer Straße: Die Fahrradkolonne mit 63 Radfahrern bleibt abrupt stehen, die Polizei, die mit Motorrädern und Fahrrädern die Demo begleitet, schreitet nicht ein. Zur Hauptverkehrszeit um ca. 19:30 Uhr steigt Kai Glauner dann von seinem Fahrrad und stellt sich vor die Kolonne. Er hält eine Wutrede zur "Solidarität mit den inhaftierten Straßenklebern der letzten Generation", die wegen des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in Beugehaft seien, damit sie keine Straßen mehr blockieren könnten. “Kleben und kleben lassen”, beendet er seine Rede. Dann geht es weiter.
“Kleben und kleben lassen. Damit meine ich dieses bayerische Sprichwort, Leben und Leben lassen, was da ein bisschen das Biergarten-Flair beschreiben soll. Also soll doch jeder nach seinem Fasson machen, was er möchte und das auch zur aktuellen Klima-Situation,” sagt Glauner, der im sonst als Fachkraft für Arbeitssicherheit arbeitet. Er fährt schon seit über 20 Jahren bei der Critical Mass mit.
Der Abend beginnt ruhig. Es ist der letzte Freitag im November und normalerweise sollte der Max-Joseph-Platz an diesem Tag prall gefüllt sein mit Radfahrern. Stattdessen findet unweit des Treffpunkts eine Demonstration für die Menschen im Iran statt. Anstelle von hunderten Fahrradklingeln hallen Solidaritätsbekundungen über den Platz. Der starke Dauerregen hat der „Critical Mass“ einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dennoch finden sich ein paar hartgesottene Rad-Enthusiasten ein, die sich ihren Spaß an dem monatlich stattfindenden Treffen nicht durch Regenwetter und Kälte vermiesen lassen. Dick eingepackt in Regen- und Winterkleidung, ausgestattet mit Helm und Fahrradlampen und begleitet durch die blau blinkenden Lichter der Polizeimotorräder machen sie sich von der Staatsoper aus auf den Weg, um auf die Sicherheit für Radfahrer in München aufmerksam zu machen. Ines Steinheimer ist eine der Ersten, die da sind. Die 55-Jährige engagiert sich schon länger für bessere Fahrradwege und ist auch bei Green City und im Bezirksausschuss Schwabing-Freimann aktiv. Trotz des Regens steht sie dem heutigen Fahrrad-Abend wohlgesonnen gegenüber. Es ginge ihr um die Aufmerksamkeit - egal bei welchem Wetter. "Also, ich fahre ja mit der Fahne vom Radentscheid rum, das ist jetzt halt das Thema seit Juni. Die Leute sehen uns und wundern sich vielleicht, dass wir einfach bei jedem Wetter fahren", sagt Steinheimer. Auch bei Schnee würden sie mit dem Rad fahren.
Einen Anführer gibt es bei der Critical Mass nicht, nocht nicht einmal einen offiziellen Sprecher. Man treffe sich lediglich zum gemeinsamen Radfahren, wird immer wieder betont. "Aber wenn einer eine Idee hat, wo man denn am Abend hinfahren kann, dann kann man sich an die Spitze der Kolonne setzen und die Richtung vorgeben", sagt Glauner. An diesem Abend ist Katharina Horn Führerin des Fahrrad-Korso. Sie engagiet sich ehrenamtlich bei Green City München und ist Referentin für nachhaltige Mobilität beim Bund Naturschutz. Ihr fallen viele Ecken in München ein, in denen die Fahrradwege alles andere als ideal sind. “Wir wollen gesicherte Radwege und einfache Ampelschaltungen, die auch auf den Radverkehr abgestimmt sind", sagt sie. "Also, wenn ich früher durch die Innenstadt bin und dann Richtung Dachauer Straße, hatte ich ungefähr 20 Ampeln, eine rote Welle, jeden Tag. Rote Wellen für Fahrradfahrer finde ich furchtbar.”
Doch damit diese Forderungen auch umgesetzt werden könnten, müsse für mehr Aufmerksamkeit gesorgt werden. Und dafür reichen manchmal Fahrradklingeln nicht aus. Stampfende Beats hallen durch die Altbau-Straßen Giesings, der Isarvorstadt und Sendlings. Raimund Klewsaat sorgt hier für die musikalische Begleitung. Der grünbärtige Informatiker sitzt an diesem Abend nicht vor seinem Rechner, sondern auf seinem Lastenfahrrad. Sein Transportgut: Eine Box, die etwa einen halben Meter groß ist. Mit dieser will er für die Aufmerksamkeit sorgen. Als täglicher Berufspendler, sieht er die Verkehrssituation in München kritisch: “Ich habe oft das Problem, dass Autofahrer nicht daran denken, dass es auch einen Radweg gibt, der eventuell die Straße kreuzt - die fahren da einfach drüber", sagt er. "Die Radfahrer werden beschimpft, zum Beispiel wegen einer Notbremsung oder ähnlichem. Das ist mir tatsächlich ein bisschen zuwider und deswegen muss man da auch mal ein Zeichen setzen." Wenn es sein müsse, halt auch mit lauter Musik, so Klewsaat.
Aber nicht nur die Autofahrer sind eine große Gefahr für die Radfahrer in München. Auch die schlechte Radweg-Infrastruktur ist schuld an vielen Unfällen. Es sind Stellen, die die Demonstranten an diesem Abend immer wieder nennen: die Schwanthalerstraße, die Landwehrstraße und die Bayerstraße - alle um den Hauptbahnhof herum. Hier gab es laut statistischem Bundesamt über 100 Unfälle in den letzten vier Jahren. Auf der Schwanthalerstraße gibt es zwar einen Radweg, dieser ist aber nur mit roter Farbe auf den Asphalt der Straße aufgemalt. Die Teilnehmer der "Critical Mass" sehen hier ein immenses Unfall-Risiko.
An diesem Abend echauffieren sich aber nicht nur die Autofahrer. Auch an Plätzen, an denen viele Passanten unterwegs sind, ist das Kopfschütteln groß. “Alles Vollidioten”, schimpft ein Passant am Gärtnerplatz. Das, was ihn am meisten aufrege: "Unter dem Deckmantel der Demonstrationsfreiheit, wird dieser Schwachsinn auch noch von der Polizei unterstützt - ich darf das bezahlen.” Seinen Namen möchte er nicht nennen - für ein Foto steht er auch nicht bereit. Zum Abschied streckt er den Mittelfinger in Richtung der Radfahrer. Die wiederrum nehmen so etwas locker - man könne es eben nicht allen recht machen, sagt Glauner.
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