Zwischen Kultur, Konsum und Konsequenzen

Bier im Supermarktregal: Genussmittel oder unterschätztes Risiko?
Nadia Hassan
Alkohol ist in Deutschland mehr als ein Genussmittel, er ist tief in der Kultur verankert. Bier gilt als deutsches Nationalgetränk, das Reinheitsgebot von 1516 steht für Brau-Qualität, und das Oktoberfest lockt jährlich Millionen Besucher an. Deutsches Bier wird weltweit exportiert. Biergärten, Karneval oder Weinfeste zeigen, wie eng Alkohol mit Traditionen verbunden ist. Ein Glas Wein oder ein kühles Pils gehört für viele zum geselligen Beisammensein, sei es beim Stammtisch, Vereinsfest oder als Belohnung nach der Arbeit. Auch bei Geschäftsfeiern oder Jubiläen wird mit Sekt oder Champagner angestoßen, ein Symbol für Erfolg und Lebensfreude.
Doch Deutschland ist nicht das einzige Land mit tief verwurzelten Alkoholsitten. In Frankreich spielt Wein eine zentrale Rolle in der Esskultur, während in Russland Wodka oft als Zeichen der Gastfreundschaft dient. In Japan sind Sake-Zeremonien fester Bestandteil von Feierlichkeiten, und in Skandinavien sind traditionelle Schnäpse wie Aquavit bei Festen beliebt. Gleichzeitig gibt es Kulturen, in denen Alkohol eine untergeordnete oder keine Rolle spielt, denn in vielen islamischen Ländern ist der Konsum stark eingeschränkt oder sogar verboten.
“Wenn ich so weitergemacht hätte, wäre ich heute nicht mehr hier."
Hinter der gesellschaftlichen Normalität des Alkoholkonsums verbirgt sich eine Schattenseite. Millionen Menschen trinken riskante Mengen, die gesundheitlichen Folgen werden oft unterschätzt. Jährlich sterben Tausende an den direkten und indirekten Folgen, darunter Lebererkrankungen, Herz-Kreislauf-Probleme und Krebs. Einer, der diesem Kreislauf entkommen ist, ist Uwe Hinsche. „Wenn ich so weitergemacht hätte wie damals, wäre ich wahrscheinlich heute nicht mehr hier. Sie könnten das Interview wahrscheinlich nicht führen, wegen dem Alkoholkonsum, ich hätte es nicht überlebt“, sagt Hinsche, ein trockener Alkoholiker, der heute über die Gefahren der Sucht aufklärt.
Hinsche wuchs in Dessau auf und begann nach der Trennung von seiner Frau 1980 exzessiv zu trinken. „Ich habe einfach nur in mich reingeschüttet. So nach dem Motto, das ist eh schon alles verloren.“ Über Jahre konsumierte er täglich einen Kasten Bier und zwei Liter Schnaps. Schließlich wurde er obdachlos in München. Die Wende kam nach einem Selbstmordversuch 1990: „Das war der erste Moment, wo ich gedacht habe, jetzt muss ich was machen.“ Er suchte Hilfe, begann eine Therapie und ist seitdem trocken. „Man muss selber was tun, um überhaupt Hilfe zu bekommen.“
In der Therapie lernte er, die Ursachen seines Trinkens zu verstehen: „Warum hast du gesoffen? Das war in dem Moment der erste Schritt.“ Heute, nach über 30 Jahren Abstinenz, hat er eine Wohnung, einen festen Job und ein stabiles Leben. Er habe gelernt, ein normales Leben zu führen und Verantwortung zu übernehmen. Er rät Jugendlichen, über ihre Probleme zu sprechen und sich nicht von gesellschaftlichem Druck verleiten zu lassen: Sie sollten reflektieren, warum sie trinken. Auch für Alkoholiker sei das die wichtigste Frage.
Sein Engagement an Schulen hilft dabei, andere zu sensibilisieren. Er betont, dass man selbst erkennen muss, wann es zu viel wird. Heute fühlt er sich gesund: „Mir fehlt nichts an der Birne.“ Seine Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.
Alkohol ist ein weltweites Phänomen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Verankerungen und oft tödlichen Folgen. Ein Blick auf internationale Zahlen verdeutlicht die Vielfalt im Umgang mit Alkohol.
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Alkoholkonsum hat auch tödlichen Folgen
Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und alkoholbedingten Todesfällen variiert weltweit stark. Kulturelle Normen, Trinkverhalten und medizinische Versorgung spielen eine entscheidende Rolle. Deutschland (11,1 Liter / 5,5 Prozent) und Frankreich (11,5 Liter / 5,1 Prozent) weisen hohen Konsum und hohe Todesraten auf. In Südkorea liegt die Rate bei 7,1 Prozent, obwohl der Konsum nur 7,8 Liter beträgt, ein Effekt der sozialen Trinkkultur mit Gruppenzwang.
Mittelmeerländer wie Spanien (10,7 Liter / 3,7 Prozent) und Italien (7,6 Liter / 2,7 Prozent) haben trotz teils hohem Konsum niedrigere Todesraten. Dies könnte an der moderaten Trinkweise mit Alkohol zu Mahlzeiten liegen. Dagegen zeigen Schweden (7,1 Liter / 3,3 Prozent), Kanada (8,1 Liter / 4,7 Prozent) und die USA (8,9 Liter / 5,1 Prozent) starke Schwankungen, beeinflusst durch Trinkgewohnheiten und Gesundheitssysteme. Genauere Hintergründe zu Todesfällen auf vergleichbarer Datenbasis liegen leider nicht vor.
Asiatische Länder wie Japan (6,4 Liter / 3,8 Prozent) und Indien (3,0 Liter / 5,3 Prozent) belegen, dass auch bei geringem Konsum hohe Todesraten auftreten können. In Indien liegt dies möglicherweise an schlechter medizinischer Versorgung und illegal produziertem Alkohol. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich in islamischen Ländern: Trotz offiziell minimalem Konsum gibt es alkoholbedingte Todesfälle, etwa in Saudi-Arabien (0 Liter / 0,7 Prozent), Iran (0,1 Liter / 0,6 Prozent) und Afghanistan (0 Liter / 0,3 Prozent). Der illegale Markt könnte hier eine Rolle spielen.
Die Daten zeigen, dass nicht nur die Menge des Alkoholkonsums entscheidend ist, sondern auch Trinkverhalten und Gesundheitsversorgung. Strenge Gesetze, hohe Steuern und kulturelle Normen beeinflussen, wie sich Alkoholkonsum auf die Gesellschaft auswirkt.
“Die Wahrnehmung in der Gesellschaft für Alkohol ist zu bagatellisierend."
Polizist Cem Aydogan beschreibt, wie Alkohol im Streifendienst eine ständige Herausforderung darstellt. Einsätze wegen Streitigkeiten, häuslicher Gewalt und Verkehrsunfällen sind besonders häufig teil seiner Arbeit und in vielen Fällen spielt Alkohol eine entscheidende Rolle. Oft müssen die Beamten in Situationen eingreifen, die durch übermäßigen Alkoholkonsum eskalieren, was die Arbeit der Polizei unvorhersehbar und gefährlich macht. Besonders problematisch sei die Unberechenbarkeit stark alkoholisierter Personen: „Die Stimmungsschwankungen sind enorm. Man weiß nie, ob jemand in der nächsten Sekunde freundlich oder aggressiv reagiert, und oft müssen wir ganz nah ran, weil jemand schwankt oder zusammenbricht.“
Neben der Polizei wird auch das Gesundheitssystem durch Alkoholkonsum stark belastet. Notaufnahmen sind besonders an Wochenenden und Feiertagen mit betrunkenen Personen überfüllt, die medizinische Hilfe benötigen – oder sich aggressiv gegenüber dem Personal verhalten. Aydogan schildert die Problematik aus seiner Erfahrung: „Viele Krankenhäuser haben nachts mit Betrunkenen zu kämpfen, die Betten blockieren und teilweise sogar Sicherheitspersonal benötigen.“
Trotz der offensichtlichen negativen Auswirkungen von Alkohol sieht Aydogan ein gesellschaftliches Problem: Alkoholkonsum wird oft verharmlost und als traditionelle Selbstverständlichkeit angesehen. Die weit verbreitete Akzeptanz und Normalisierung von Alkohol erschwere eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Folgen. „Die Wahrnehmung in der Gesellschaft für Alkohol ist zu bagatellisierend, zu traditionell. Das macht man ja schon immer so.“
Neben gesellschaftlichen Normen sieht Aydogan auch wirtschaftliche Faktoren als mitverantwortlich für den hohen Alkoholkonsum. Er kritisiert die niedrige Besteuerung alkoholischer Getränke, die den Konsum zusätzlich fördert und die damit verbundenen Kosten auf die Allgemeinheit abwälzt. „Die Steuern für Alkohol sind meiner Meinung nach viel zu niedrig. Es entstehen erhebliche Kosten. Ich würde da ganz anders ansetzen und die Steuern für Alkohol einfach drastisch erhöhen.“ Seiner Meinung nach könnte eine höhere Besteuerung nicht nur die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgekosten senken, sondern auch präventiv wirken, indem sie den Alkoholkonsum insgesamt reduziert.

Cem Aydogan
Foto: Kevin Neumann
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“Die niedrigen Preise spiegeln den unkritischen Konsum wider“
Die Zahlen zum internationalen Bierpreis und den Steuern auf alkoholische Getränke geben auch interessante Einblicke in den Umgang mit Alkohol in verschiedenen Ländern. Besonders auffällig ist die Situation in Deutschland, wo sowohl der Bierpreis als auch der Steuersatz im internationalen Vergleich relativ niedrig sind. Mit einem Preis von 0,78 internationalen Dollar für Bier liegt Deutschland deutlich unter vielen anderen Ländern, was den günstigen Bierkonsum hierzulande widerspiegelt. Auch der Steuersatz von 21,52 Prozent ist im Vergleich zu Ländern wie Norwegen oder Schweden eher niedrig.
Diese niedrigen Werte spiegeln den weit verbreiteten, fast selbstverständlichen Umgang mit Alkohol wider. Alkohol, besonders Bier, ist ein fester Bestandteil des Alltags. Oft wird Alkohol als harmlos wahrgenommen, ohne die möglichen negativen Folgen zu hinterfragen.
Der niedrige Bierpreis und die moderaten Steuern tragen dazu bei, dass Alkohol in Deutschland leicht zugänglich ist. Viele Menschen, besonders junge Leute, sehen Alkohol als unproblematisches Vergnügen, das in der Gesellschaft akzeptiert wird. Dies verstärkt den unkritischen Konsum, der gesundheitliche und gesellschaftliche Risiken mit sich bringt.
Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Länder wie Norwegen (67,3%) oder Schweden (58,5%) hohe Steuern auf Alkohol erheben, was zu höheren Bierpreisen führt. Diese hohen Steuern spiegeln eine striktere Haltung gegenüber dem Alkoholkonsum wider und sollen den Konsum regulieren. In Deutschland bleibt der Bierpreis jedoch niedrig, was den Eindruck erwecken könnte, dass Alkoholkonsum weniger problematisch ist. Eine höhere Besteuerung, wie sie in skandinavischen Ländern üblich ist, könnte helfen, den Alkoholkonsum in Deutschland zu bremsen und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.
Verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol ist unerlässlich
Alkohol ist tief in der Kultur vieler Länder verwurzelt, doch mit gravierenden Folgen. Hoher Konsum führt nicht nur zu gesundheitlichen Schäden, sondern belastet auch das Gesundheitssystem, den Sicherheitsapparat und die Gesellschaft als Ganzes. Wäre Alkohol eine neue Trenddroge, würde man ihn heute überhaupt zulassen? Die Geschichten von Uwe Hinsche und Cem Aydogan zeigen eindrucksvoll, welche Gefahren übermäßiger Alkoholkonsum birgt.
Es liegt an jedem Einzelnen, bewusst mit Alkohol umzugehen. Kritisches Hinterfragen des eigenen Trinkverhaltens, frühzeitige Hilfesuche bei Problemen und eine gesellschaftliche Debatte über höhere Steuern und strengere Regelungen sind wichtige Schritte in Richtung einer verantwortungsvolleren Alkoholpolitik. Denn wie Hinsche es formuliert: „Man muss selber was tun, um überhaupt Hilfe zu bekommen.“
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