Deutscher Presserat: Schiedsrichter oder Scharfrichter?
In Zeiten von Fake News, Desinformation und Social Media stellt sich zunehmend die Frage, wie Qualitätsjournalismus gewährleistet werden kann und auch, wie diese Qualität kontrolliert wird. Der Deutsche Presserat ist hierbei exemplarisch für den Werkzeugkasten journalistischer Qualitätskontrolle zu nennen. Die Selbstkontrolleinrichtung der deutschen Presse setzt sich aus Journalistenverbänden und Verlegern zusammen. Seit 1973 veröffentlicht der Verein den Pressekodex für Print- und Onlinemedien in immer wieder aktualisierter Form.
Gegliedert in Präambel und 16 Ziffern stellt der Pressekodex informelle Regeln auf, die eine fachliche und ethische Qualität gewährleisten sollen. Anders als bei formellen Gesetzen agiert der Presserat aber nicht als Gericht; ein Verstoß gegen den Pressekodex zieht keine Strafe nach sich. Oder doch?
Eine Frage der Ehre
Verpflichtet sich ein journalistisches Medium dem Pressekodex und verstößt gegen diesen, kommt es nicht zu einem Gerichtsverfahren. Stattdessen besteht für Leserinnen und Leser die Möglichkeit zur Beschwerde beim Presserat. Dessen Gremium entscheidet dann bei regelmäßig stattfindenden Sitzungen über die Begründetheit der Beschwerde und verfügt über mehrere Instrumente zur Sanktionierung des Verstoßes - in aufsteigender Schwere sind dies der Hinweis, die Missbilligung und die Rüge.
Bei geringeren Verstößen erteilt der Presserat der verantwortlichen Redaktion einen entsprechenden, nicht-öffentlichen Hinweis. Eine falsche Quellenangabe, die allerdings nicht zur Irreführung oder starker Verzerrung der Information führt, ist ein Beispiel für solch einen geringeren Verstoß.
Die bewusste Manipulation von Bildern oder Zitaten stellt einen schwereren Verstoß gegen den Pressekodex dar und kann mit einer Missbilligung sanktioniert werden. Dabei ist die Missbilligung nicht zwingend öffentlich, jedoch legt der Presserat den jeweiligen Publikationsorganen nahe, sie im Rahmen fairer Berichterstattung öffentlich zu machen.
Die höchste Eskalationsstufe stellt die Rüge dar. Der Presserat erteilt sie für schwerwiegende Verstöße gegen den Pressekodex. Die Erteilung einer Rüge impliziert die Aufforderung an die verantwortliche Redaktion, diese auch zu veröffentlichen. Mangels rechtlicher Grundlage ist sie im juristischen Sinne aber nicht dazu verpflichtet. Jedoch veröffentlicht der Presserat regelmäßig, gegen welche Publikationsorgane Rügen erteilt wurden und auch, welche Redaktionen diese nicht veröffentlicht haben. So erteilte der Presserat seit 2000 bisher 825 Rügen. Diese öffentliche Verurteilung signalisiert dem Medium und der Öffentlichkeit klar, dass der Verstoß von besonderer Schwere und reputationsschädigend ist.
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Prominentes Beispiel für regelmäßige Verstöße gegen den Pressekodex ist die Medienmarke „BILD“, die neben der gleichnamigen Tageszeitung auch Zeitschriften wie „Sport Bild“, „Computer Bild“ und „Auto Bild“ beinhaltet. All diese Formate sind beim Axel Springer-Verlag angesiedelt und verzeichnen – zusammengenommen als Medienmarke – mit insgesamt 249 Rügen bei Weitem die meisten Rügen seit dem Jahr 2000. Auf Platz zwei und drei folgen die „Berliner Zeitung“ (21 Rügen) und „EXPRESS“ (14 Rügen). Dahinter gibt es viele Medienmarken mit circa zehn Rügen seit 2000, also etwa eine alle zweieinhalb Jahre. Dabei haben diese Rügen alle etwas gemeinsam: am meisten wurde gegen die Ziffern 2, 7 und 8, also die Sorgfaltspflicht, den Persönlichkeitsschutz und das Verbot der Schleichwerbung verstoßen. So darf gemäß der Sorgfaltspflicht der Sinn einer wahrheitsgemäßen Information nicht durch Überschriften oder Bildbeschriftungen verfälscht werden und unbestätigte Meldungen und Gerüchte müssen als solche gekennzeichnet werden. Und auch das mediale Ausschlachten des Suizids einer Mutter inklusive Veröffentlichung von Bildern ihrer Privatadresse, ihrer abgedeckten Leiche und Spekulationen über ihr Motiv ging dem Presserat deutlich zu weit. Solch ein unseriöses Vorgehen ist ein Paradebeispiel für einen Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz.
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Markt schlägt Ideal
Finanziert wird der Presserat durch Verleger- und Journalistenverbände und staatliche Zuschüsse. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind dabei meistens ehemalige oder noch aktive Journalisten, was Medienkritiker immer wieder skeptisch beäugen. Abgesehen von einer eventuellen Befangenheit des Presserates, gibt es aber noch eine andere, zentrale Kritik: der Presserat sei ein „zahnloser Tiger", findet nicht nur Stefan Niggemeier, Gründer vom Medienkritik-Magazin "Übermedien". Wie bereits festgestellt, hat diese Kritik auch ihre Berechtigung: juristische Konsequenzen durch den Presserat muss niemand befürchten. Und manche Redaktion lebt dementsprechend auch ganz ungeniert. So hat die BILD-Zeitung unter dem ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt von Juni 2019 bis September 2021 keine der ausgesprochenen Rügen abgedruckt und der Bauer-Verlag - seines Zeichens der Publikumspresse-Verlag mit dem größten Marktanteil in Deutschland (2022: 19,5%) - hat erst gar keine Selbstverpflichtungserklärung abgegeben.
Offensichtlich gibt es eine Diskrepanz zwischen ideellem Anspruch des Pressekodex auf der einen Seite und der Realität im Tagesgeschäft mancher Redaktionen auf der anderen Seite. In einigen Medienhäusern, insbesondere bei der Yellow Press, lassen wiederholte Verstöße vermuten, dass Gerichtskosten durch Unterlassungsklagen einkalkuliert sind. Wichtig ist, dass sich die Geschichten verkaufen - ob im Heft oder online hinter der Bezahlschranke. Das hat bereits dazu geführt, dass sich Journalisten ganze Geschichten ausdachten und hierfür auch noch Preise erhielten - siehe der Fall Relotius beim Spiegel.
Die „BILD“ ist nicht nur die am meisten gerügte Medienmarke, sondern trotz eines allgemeinen Auflagenrückgangs auch die mit Abstand auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands: im dritten Quartal 2023 wurden fast 1,1 Millionen Stück gekauft. Die „Süddeutsche Zeitung“ rangiert mit rund 270.000 verkauften Exemplaren weit abgeschlagen auf Platz zwei. Abseits von ethischen Leitfäden, Kontrollgremien und juristischen Sanktionen entscheidet auch die Leserschaft über die Qualität von Journalismus. Wer unzufrieden ist mit der Berichterstattung kann sich beim Presserat beschweren - oder einfach nicht mehr kaufen oder klicken.
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