Zwischen Tod und Leben
Sobald dem Spender ein Organ entnommen wird, beginnt der Wettlauf gegen die Zeit. Die Dauer ohne Durchblutung, die sogenannte Ischämiezeit, muss so gering wie möglich gehalten werden. Ein Herz ist bereits nach vier Stunden nicht mehr verwertbar. Organtransporter kämpfen sich daher mit Blaulicht und Martinshorn durch den Straßenverkehr.
Stephan Stein (28), Medizinstudent und angehender Unfallchirurg, ist nebenberuflich als Fahrer im Organtransport tätig. Seine Aufgabe ist es, den exakten Ablaufplan einzuhalten und das Organ sicher von Spender zu Empfänger zu überführen. Koordiniert wird die Organspende bundesweit durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).
Dauern reine Bodentransporte zu lange, kommen Flugzeuge zum Einsatz. In solchen Fällen warten die Fahrer direkt auf dem Rollfeld auf das Organ, um die letzte Etappe zum Empfänger schnell zu überwinden.
"Es gibt praktisch keinen Bereich in der Medizin, wo Freude und Leid so nah beieinander liegen, wie bei der Organspende. Es muss jemand sterben, damit ein anderer weiterleben kann. Das ist schwierig", sag Stein, nachdem er das Organ entgegengenommen hat.
Handelt es sich um Niere oder Leber, wird der Transport ohne medizinisches Personal durchgeführt. Anders bei Herz und Lunge, hier werden alle Sitzplätze für das Entnahmeteam gebraucht. Die Chirurgen begutachten dann persönlich das Spenderorgan, bevor sie es entnehmen, zum Empfänger verbringen und schließlich transplantieren.
Die Piloten Matthias Erble und Anthony Holloway (v.l.n.r.) befördern die wertvolle Fracht, manchmal auch unter schwierigen Wetterbedingungen. „Den starken Seitenwind haben wir auf jeden Fall ganz schön gespürt“, merkt Erble nach der Landung an.
Während der Organempfänger bereits auf die OP vorbereitet wird, befindet sich das Organ auf der Zielgeraden Richtung Notaufnahme. Laut einer statistischen Erhebung des Mitteldeutschen Rundfunk ist bei Fahrten mit Sondersignal das Unfallrisiko 17-mal höher als im normalen Straßenverkehr. "Bisher bin ich unfallfrei, aber man muss schon höllisch aufpassen", erklärt Stein auf der Fahrt.
Pünktlich und ohne Zwischenfälle erreicht das Organ die Notaufnahme. Auch wenn die Transporte meist reibungslos ablaufen, verbleibt die Organspendenrate in Deutschland fatal. Dem DSO-Jahresbericht 2021 zufolge konnten von 8730 benötigten Organen, aufgrund von Spendermangel lediglich 2979 transplantiert werden.
Mit der Übergabe des Organs an das Krankenhaus endet Steins Verantwortungsbereich. Ob der mehrstündige Prozess der Transplantation glückt, liegt nun in den Händen der Chirurgen.
"Ich könnte auch sicherlich einen entspannteren Nebenjob machen, aber mir ist es wichtig, dass ich etwas Sinnvolles tue. Außerdem macht es ja trotzdem Spaß", sagt Stein nach dem erfolgreichen Transport. Auch er besitzt einen Organspendeausweis. Er appelliere an jeden, sich mit dem Thema zumindest auseinanderzusetzen.
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