Gesellschaft

Lebensfreude im Takt: die Münchner Lindy-Hop-Szene

Dominik Brügner
Kristin Zeyer
Lesezeit 10 Minuten
Mann und Frau bei wildem Tanz
Credit: Brügner/Zeyer
Wilde Drehungen, Kicks und akrobatische Hebefiguren: In München erwacht der Tanzstil "Lindy Hop" wieder zum Leben.

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Samstagabend im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt: Die Klänge einer Live-Band erfüllen den Raum. Viele der anwesenden Herren tragen Hemd oder Anzug, die Mehrheit der Damen schwingende Röcke. Tanzpaare wirbeln scheinbar mühelos durch den mit Vintage-Möbeln ausgestatteten Saal, der in stimmungsvolles Licht getaucht ist. Man kennt sich. Was alle gemeinsam haben, sind nicht nur die verschiedensten Formen und Farben von Tanzschuhen an ihren Füßen. Es ist der Tanzstil. Geprägt von Akrobatik pur: Das ist Lindy Hop.

 

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Tänzerin und Tänzer schauen in Kamera
Credit: Brügner/Zeyer

Auch Domen Bohinc und Fanny Bartl befinden sich in der swingenden Menge. Seit 2016 unterrichtet das Tanzpaar gemeinsam Lindy Hop im Vintage Club in München. „Dieser Tanz bringt so viel Lebensfreude mit sich“, erzählt Fanny. Obwohl er vor mehr als 90 Jahren entstanden ist, findet sie: „Es ist immer noch ein Tanz, der wahnsinnig lebhaft ist. It's a very lively Dance bis hin zu wild, er kann auch fast übertrieben sein. Es macht einfach Spaß.“ Lindy Hop ist etwa zeitgleich zu der Zeitungschlagzeile „Lindy Hops the Atlantic“ entstanden, als der US-amerikanische Pilot Charles Lindbergh 1927 von New York nach Paris geflogen ist. Dies soll dem Tanz seinen Namen eingebracht haben.

 

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Mann und Frau in Tanzpose
Credit: Brügner/Zeyer

Dieselben lachenden Gesichter in verschiedenen Looks: „Domen lebt den Style“, erklärt Fanny. Sie selbst trage in ihrem Alltag außerhalb des Lindy Hop nicht ausschließlich diesen Stil. Fanny ist nebenberuflich Tanzlehrerin und hat noch einen anderen Vollzeitjob. Anders bei Domen: Sein Hauptberuf ist Tanzlehrer. „Normalerweise sind es 25 Stunden Unterricht in der Woche. Dann kommen noch Workshops und für sich allein tanzen hinzu“, sagt er. Vieles davon findet am Wochenende oder in Abendstunden statt: „In der Zeit, in der die Leute frei sind, arbeite ich, und wenn die Leute arbeiten, habe ich normalerweise frei. Aber weil ich eher eine Nachteule bin, passt mir das eigentlich auch“.

 

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Mann und Frau tanzen vor Orchester
Credit: Brügner/Zeyer

An diesem Abend sorgt „The Jungle Jazz Band“ aus Berlin für die passenden Klänge. In dieser Szene keine Unbekannten. Swing-Musik spielt für Fanny eine tragende Rolle als Gute-Laune-Macher und Energiequelle nach langen Arbeitstagen. Auch für Domen ist Musik wichtig. „Ich tanze primär Swing, aber ich tanze und höre auch andere Musik wie Pop, Rock, Metal, Ska, klassische Musik. Und wenn ein Song tanzbar ist, tanze ich auf ihn.“

 

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Frau zieht sich Tanzschuhe an
Credit: Brügner/Zeyer

Die Lindy-Hop-Szene „ist tatsächlich mein hauptsächliches soziales Netzwerk“. Sie ergänzt: „Ich habe inzwischen vor allem Freunde, die tanzen.“ Was das Besondere an diesem Umfeld ist? „Es ist eher eine Gemeinschaft. Es formen sich Freundschaften und Paare. Ich habe schon viele Leute gesehen, die sich im Kurs kennengelernt und dann geheiratet haben. Ich habe schon viele Lindy-Hop-Hochzeiten erlebt“, schildert Fanny. „Ich sage immer, wenn du jemanden kennenlernen möchtest, dann komm tanzen.“

 

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Frau macht beim Tanz im Arm von Mann Spagat
Credit: Brügner/Zeyer

Fanny möchte ihren Schülern und ihrem Publikum vor allem die Freude am Lindy Hop vermitteln: „Wir wollen, dass es nach Spaß ausschaut. Ja, genau das ist es. Klar ist aber auch, dass jeder einmal an die eigene Frustgrenze kommt, wenn man diesen Tanz erlernt. Die hatte ich auch zu Genüge. Man lernt erst leicht. Und ab einem gewissen Punkt, das ist sehr persönlich, je nach körperlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten, kommt dann so eine Frustgrenze. Da braucht es dann ein bisschen, um darüber hinwegzukommen.“

 

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Mann mit Hut schaut in Kamera
Credit: Brügner/Zeyer

„Zum Tanzen bin ich über meine Brüder gekommen“, sagt Domen. „Sie haben zwei oder drei Jahre vor mir angefangen zu tanzen. Dann habe ich mich 2008 überreden lassen und auch meinen ersten Kurs gemacht - und seitdem tanze ich. Was mich am Anfang besonders fasziniert hat, war wirklich die Musik und die Freude am Tanzen. Die Leute, die Entspanntheit, das Zusammenkommen von Leuten, die die gleichen Interessen haben. Es gefällt mir sehr.“ Gibt es neben diesen positiven auch schwierige Aspekte? „Ich glaube, bei jeder Kunst, bei jedem Sport, sowie bei jeder Arbeit gibt es Herausforderungen“, hält Domen zunächst fest. Ihn beschäftigt vor allem, wie er mit seiner Kunst überleben und diese authentisch präsentieren könne.

 

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Mann und Frau in Tanzpose
Credit: Brügner/Zeyer

Seine Leidenschaft für Lindy Hop sieht Domen durch Menschen beeinflusst, die diese Tanz- und Musikkultur mit Leidenschaft geschaffen haben. „Und ich glaube, das spürt man auch in der Musik. Sie wurde von Leuten kreiert, die normalerweise eher arm waren und viele Probleme hatten. Man spürt die Trauer, die Freude, die Liebe, die Wut und die Leidenschaft, das berührt mich.“ Lindy Hop hat seine Wurzel in der afroamerikanischen Kultur und gilt als deren kulturelles Phänomen der Emanzipationsbewegung.

 

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Zeitung mit Schriftzug "Vintage Club"
Credit: Brügner/Zeyer

Im Branchenbuch der Stadt München gibt es rund 160 eingetragene Tanzschulen. Nur einige davon unterrichten auch Lindy Hop. Der Vintage Club im Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt zählt dazu. Neben Tanzkursen und Workshops finden hier auch Lindy-Hop-Partys statt, die ein Treffpunkt für die Szene sind.

 

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Tanzbewegungen auf einem Bein
Credit: Brügner/Zeyer

Domen unterrichtet mit Fanny zusammen nicht nur Lindy Hop, er ist auch Kollege: „Die Gemeinschaft bei uns ist international. Um hier zu arbeiten, kommen viele Leute aus Deutschland und auch von außerhalb. Wir sind auch offen dafür, dass die Damen die Rolle als Leader übernehmen und Herren die Rolle als Follows“. Ganz zentral bei alledem sei, dass alle respektvoll miteinander umgehen.

 

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Frau wirbelt durch die Luft

Credit: Brügner/Zeyer
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Mann wirft Frau in die Höhe beim Tanzen

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Mann und Frau springen beim Tanz in die Höhe

Credit: Brügner/Zeyer
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Mann und Frau in Tanzpose, Fraus streckt Bein aus und zur Seite, Mann geht ein bisschen in die Knie

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Typische Merkmale von Lindy Hop sind akrobatisch anmutende Hebefiguren, die im Fachjargon „Aerials“ genannt werden. Diese gehören ebenfalls zum tänzerischen Repertoire von Fanny und Domen. Außerdem haben sie schon Filmerfahrung: So ist das Tanzpaar zusammen in einem Musikvideo zu dem Song „Mocca Swing“ des Künstlers Mulo Francel als Haupttänzer zu sehen. Für beide ein besonderes Erlebnis.

 

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Mann und Frau zeigen beim Tanz aufeinander
Credit: Brügner/Zeyer

Wie es für die beiden tänzerisch weitergeht? „Ich wünsche mir, dass ich das noch viele Jahre machen und teilen kann, solange es mir Spaß macht“, fasst Domen zusammen. „Wir werden gerade ein bisschen bekannter, und in der Richtung möchte ich weitermachen. Es ist wahnsinnig schön, auf Reisen und auf Workshops zu gehen“, erklärt Fanny. Ein kurzer „Break-Away“ - so wird das Lösen der geschlossenen Paartanzhaltung bezeichnet – dann wirbeln sie gemeinsam wieder weiter über die Tanzfläche.

 

Ein Artikel von

Dominik Brügner
Kristin Zeyer