Das stille Sterben der Höfe
Für Hildegard Wallner ist nach 26 Jahren Schluss. Schluss mit dem frühen Aufstehen, Schluss mit der harten Arbeit. Seit 1993 arbeitete sie durchgehend ihrem Bauernhof - bis 2019. Dann hält sie es nicht mehr aus und stellt den landwirtschaftlichen Betrieb ein. Eine Entscheidung, welche die 58-Jährige nicht bereut. „Die Arbeit wird immer mehr und unterm Strich hast du einfach weniger“, sagt sie. Mit dem Hof im Oberbayrischen Pfaffing hat es Wallner ohnehin nie einfach gehabt. „Mein Mann ist früher nebenher noch arbeiten gegangen, denn im Endeffekt blieb immer weniger über“, so Wallner. Nach dem Tod ihres Mannes kümmert sie sich 15 Jahre allein um den Hof und ihre drei Kinder. Um dies stemmen zu können muss sie „Betriebshelfer und jemanden der putzt“ einstellen. Man könne sich vorstellen, wie die Gewinnmarge dann sinke, erklärt sie. Die finanziellen Herausforderungen in der Landwirtschaft seien irgendwann nicht mehr tragbar gewesen. „Die Bauern müssen jede Mark investieren und dann reicht es trotzdem nicht und dann kommen noch die vielen Auflagen“, klagt Wallner. Die Unterstützungen von Seiten der Politik kämen kaum bei den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben an. Umso größer der Betrieb sei, desto mehr Unterstützung bekomme er. „Es heißt immer die kleinen Landwirte müssen wir erhalten, aber in der Praxis ist es anders“, sagt sie.
So wie Hildegard Wallner geht es vielen Landwirten in Bayern. In den vergangenen zehn Jahren mussten nahezu 12.000 Landwirte ihre Höfe aufgeben. Die Anzahl der Höfe hat sich laut dem statistischen Landesamt in Fürth seit dem Jahr 2000 bis heute halbiert.
Laut Agrarökonom Sebastian Lakner ist dieser Strukturwandel nichts Neues. Seiner Meinung nach liege das Höfesterben an der "technologischen Tretmühle": Die Preise fallen und die Gewinne der Landwirte schrumpfen. Diese Entwicklung weise schlichtweg auf ein „Überangebot“ hin, so der Experte. „Das kann daran liegen, dass wir einen starken technischen Fortschritt in der Landwirtschaft haben", so Lakner. Durch neue technische Anlagen und Fahrzeuge könnten Landwirte immer mehr produzieren. „Die haben expandiert, die haben einen Traktor dazu gekauft, die sind produktiver geworden, die haben mehr produziert. Im gesamten Sektor ist mehr Ware produziert worden,“ fasst Lakner den Prozess zusammen.
Durch die zunehmende finanzielle Belastung für die Landwirte wurden seit den 1980 Jahren Projekte zum Verleih von Maschinen gegründet. Für diese Projekte gibt es verschiedene Modelle, „das kann kommerziell sein, es gibt auch gemeinnützige Maschinenringe“, sagt Lakner. Diese sogenannten Maschinenringe würden helfen, damit die Landwirte Maschinen untereinander austauschen könnten um somit Kosten zu sparen. „Da frage ich den Maschinenring, die kommen vorbei, ernten das ab und fahren dann zum nächsten weiter…das ist super.“
In Bezug auf die Selbstversorgung sieht der Agrarökonom keine Probleme. „Es gibt nur zwei Bereiche, wo wir wirklich auf Importe angewiesen sind, das ist Obst und Gemüse, was an sich logisch ist, weil das kann man in Südeuropa besser produzieren“. Selbst Dürren oder große Ausfälle könne man meistens ausgleichen.
In Zukunft werde es für „einen Teil der Betriebe eine Veränderung des Produktionsprofils geben. Wir werden wahrscheinlich in bestimmten Regionen immer noch den klassisch spezialisierten Ackerbau und Tierhaltungsbetriebe haben, das brauchen wir auch weiter“, sagt Lakner. Auch wenn man diesem „Strukturwandel“ des Höfesterbens nicht allzu viel Positives abgewinnen kann, sieht Lakner die Chance auf eine positive Entwicklung: „Solidarische Landwirtschaft, wo Verbraucher und Produzenten sich zusammentun und gemeinsam den Hof finanzieren oder auch Betriebe, die sehr stark diversifizieren in Richtung Agrartourismus. Das heißt, die Welt der Betriebe, die wird ein bisschen bunter.“
Sowohl Wallner und auch Lakner sind sich in einem Punkt einig: der Nachwuchs in der Landwirtschaft fehlt. Es gibt viele Faktoren, welche die nachkommende Generation daran hindert in die Landwirtschaft zu gehen. Lakner unterrichtet den Nachwuchs an der Universität und merkt die Unterschiede zu früher: „Früher war das so, dass das klassische Bauernsöhne und Töchter waren, die gingen zum Studieren, lernen wie es richtig geht“. Mittlerweile sehe dies aber etwas anders aus, so Lakner: „Es werden immer weniger, was jetzt kommt sind Leute aus den Städten, die sich für das Thema interessieren“, sagt er. Für die Interessierten stelle sich eher die Frage, wie man an einen Hof komme. Einen Kredit von mehreren Hunderttausend Euro aufzunehmen ist für den Großteil der Bevölkerung nicht möglich. Es gäbe zwar eine Junglandwirtförderung, aber selbst damit ist die finanzielle Last kaum zu stemmen. Die Bemühungen der Politik nehme er wahr. „Man denkt über diese Sachen nach, aber es ist nicht leicht“, fasst Lakner zusammen.
Wallner sieht das Problem an einer anderen Stelle: „Auch wenn ein junger Mann weitermachen will mit der Landwirtschaft, findet der überhaupt eine Frau?“ Sie kenne den Alltag einer Landwirtin gut. „Wenn noch mehr Generationen auf dem Hof leben und mitarbeiten ist es einfacher. Bei den Bauernhöfen helfen eigentlich die Eltern mit bis sie sterben, sonst würde sich der Betrieb nicht rentieren.“ Das Problem liege darin, dass das „Soziale“ hinten wegfällt. Der Arbeitsalltag auf einem Hof lasse nicht viel Freiraum zu. „Die jungen Leute lassen sich das auch nicht mehr aufzwingen. Die leben ihr Leben, die sollen auch ihr Leben leben. Jemanden dazu zwingen, das ist heutzutage vorbei.“ Zudem, so die ehemalige Bäuerin, würde auch die Anerkennung in der Gesellschaft sinken. „Man wird so hingestellt, als wäre man der Umweltverschmutzer. Den Leuten ist nicht bewusst, dass die schöne Landschaft inklusive Berge, Seen und Moore von den Landwirten gemacht wird.“ Ihre drei Söhne sehen sich aktuell auch nicht in der Landwirtschaft und überhaupt, weiterempfehlen würde sie die Landwirtschaft nicht: „Wenn man Tag und Nacht arbeiten muss für einen Nulltarif“. Denn im Vergleich zu damals, als sie noch den ganzen Tag für den Hof schuften musste, sie ihr jetziges Leben geradezu paradiesisch. „Mir geht’s aktuell so gut, denn jetzt bleibt auch mal Geld übrig.“
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