Gesellschaft

Im Auge des Sturms: Die Evolution der Naturkatastrophen-prävention

Conrad Solms-Laubach
Niklas Wick
Lorenz Schlich
Lesezeit 8 Minuten
Die Überschwemmungen im Ahrtal hatten verheerende Folgen für die Bewohner.

Die Überschwemmungen im Ahrtal hatten verheerende Folgen für die Bewohner.

Credit: Adobe Stock
Naturkatastrophen beschäftigen uns schon seit Anbeginn der Zeit. Von Erdbeben bis hin zu Überschwemmungen sind Menschen den Naturgewalten häufig schutzlos ausgeliefert. Wird es uns in naher Zukunft gelingen können, diese Gefahr zu überwinden?
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Die Flut kam in der Nacht, unaufhaltsam und ohne Vorwarnung. Wassermassen, die in ihrer Urgewalt Straßen in Flüsse verwandelten und Häuser zu kartenhausartigen Gebilden reduzierten, die beim ersten Kontakt mit der Flutwelle zusammenbrachen. Im Ahrtal, einer idyllischen Region, die von Weinbergen und sanften Hügeln geprägt ist, hinterließ die Flutkatastrophe vom Juli 2021 eine Spur der Verwüstung. Menschen, die ein Leben lang in diesen Tälern gewohnt hatten, standen vor den Ruinen ihrer Existenz. Naturkatastrophen wie diese häufen sich werden in den letzten Jahren. Doch woran liegt das und sind wir in Deutschland wirklich auf dem Weg, solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden?

Die folgende Grafik zeigt die Gefahr von Katastrophen wie der im Ahrtal aus globaler Sicht. Durch diesen Vergleich wird schnell deutlich, warum andere Staaten präventive Schritte bereits deutlich früher gegangen sind, als wir. 

 

 

 

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Helmut B., 74 Jahre alt, steht am Ufer des Baches, der einst ein friedliches Rinnsal war und nun ein reißender Strom. Hier, wo das Wasser seinen Garten, sein Haus, sein ganzes Hab und Gut nur in einer einzigen Nacht weggespült hatte. Helmut erzählt, wie er auf das Dach klettern musste um zu überleben, wie er hilflos zusehen musste, wie das Leben, das er aufgebaut hatte, in den Fluten verschwand. "Man denkt, so etwas passiert nur anderen", sagt er, "doch dann wird man selbst die Schlagzeile."

Die Katastrophe im Ahrtal ist kein isoliertes Ereignis. Sie ist Teil einer globalen Entwicklung, die zeigt, dass die Häufigkeit und Intensität von extremen Wetterereignissen zunehmen. Das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) hat in einer Studie die Opferzahlen von Naturkatastrophen über die letzten zwei Jahrzehnte analysiert.

Es ist eine aufwärtsgerichtete Kurve, die Experten beunruhigt. Dr. Norbert Gebbeken ist Bauingenieur und Experte für Naturkatastrophen und die Prävention deren Ausmaße. "Die Beharrungskräfte sind enorm, und man schreckt vor den Kosten zurück", erklärt er. Die Ahrtal-Katastrophe, bei der 135 Menschen ihr Leben verloren, hat in Deutschland zwar zu einem Umdenken und einer Verstärkung des Katastrophenschutzes geführt, doch der Experte warnt: "Wir tun viel bei der Bewältigung, nicht aber bei der Prävention." Er mahnt, dass es bei der nächsten Katastrophe darauf ankommen wird, ob die verstärkten Maßnahmen tatsächlich greifen.

In Relation zu anderen Naturkatastrophen der Vergangenheit wirken die Opferzahlen des Ahrtals gering, was den Mangel einer lang anhaltenden Auseinandersetzung mit dem Thema verursacht haben könnte. Die in der Grafik gezeigten Katastrophen hätten durch Prävention zwar vielleicht nicht gänzlich verhindert, deren Bewältigung jedoch um einiges vereinfacht werden können.

 

 

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Als die Wassermassen des Ahrtals ihre zerstörerische Kraft entfalteten, war es die schnelle Reaktion der Helfer, die viele Leben rettete. Feuerwehrmann Matthias S. berichtet von der Nacht, in der er mehr als 24 Stunden ohne Unterbrechung im Einsatz war, Menschen von Dächern rettete und mit seinen Kollegen versuchte, den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die physischen Herausforderungen waren enorm, doch die emotionalen Belastungen, die unzähligen Schicksale zu verarbeiten, die er in dieser Zeit sah, waren noch schwerwiegender. "Jeder, den wir retten konnten, gab uns die Kraft weiterzumachen“, erklärt er.

 

Die verheerende Flut im Ahrtal ist ein dramatisches Beispiel dafür, wie der Klimawandel Naturkatastrophen beeinflusst. Experten sind sich einig, dass sich der Klimawandel vor allem auf Niederschläge, Extremstürme, Dürren und Hitze auswirkt. "Wir erleben, wie Jahrhunderthochwasser nun alle zehn Jahre vorkommen", erklärt Gebekken und fügt hinzu, dass "die Urbanisierung und die damit einhergehende Versiegelung von Flächen zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen, insbesondere in Großstädten."

 

In den Monaten nach der Flutkatastrophe formierte sich im Ahrtal eine beispiellose Solidarität. Bürgerinitiativen entstanden, um den Wiederaufbau und die Verbesserung der lokalen Infrastruktur voranzutreiben. Manche Gemeinden setzten auf Renaturierungsprojekte, um das Wasser besser im Gelände zu halten und eine langsamere Abflussrate zu erreichen. "Es ist ein Umdenken geschehen", sagt ein Betroffener. "Wir passen uns an, wir lernen, Katastrophen wie die im Ahrtal langfristig zu verhindern." Diese Anpassung auf kommunaler Ebene spiegelt wider, wie Gemeinschaften resilienter gegenüber Naturgefahren werden können.

Moderne Lösungsansätze für alte Probleme

Die Katastrophe im Ahrtal hat die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen klar gemacht. Frau Dr. Neysa Setiadi ist Referentin bei „Aktion Deutschland Hilft“ und befasst sich mit Katastrophenvorsorge. Sie betont: "Um das Risiko zu reduzieren, müssen wir die Kenntnisse über potenzielle Gefahren vor Ort verbessern und die Bevölkerung für schnelles Handeln stärken.“ Es ginge darum, Städte in Schwammstädte umzuwandeln, die viel Wasser aufnehmen können, durch grün-blaue Infrastruktur und weniger Versiegelung. Der Blick nach Bangladesch zeigt, dass präventive Maßnahmen, wie Frühwarnsysteme und katastrophenresistente Bauten, Todeszahlen drastisch reduzieren können. Internationale Erfolgsbeispiele wie diese dienen als Vorbild für lokale Strategien, um die Widerstandsfähigkeit gegenüber Naturkatastrophen zu steigern.

Gebbeken Credit: Conrad Solms

Dr. Norbert Gebbeken


Leiter des RISK-Institutes an der UniBW und Experte für Naturkatastrophen, deren Auswirkungen und Präventionsmöglichkeiten

Credit: Conrad Solms



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Hoffnung durch Technik

Im Schatten zerstörter Häuser und aufgewühlter Straßen des Ahrtals standen sie, die stillen Helfer der modernen Technik. Drohnen flogen brummend durch die Lüfte, um Einsatzkräften detaillierte Bilder der Lage zu liefern. Daten, die sonst Tage zu sammeln gedauert hätten, waren binnen Stunden verfügbar. Martin, ein junger Ingenieur aus Koblenz, erzählt von diesen Tagen: „Es war ein Rennen gegen die Zeit. Aber dank der Technologie konnten wir schnell Brückenbau-Sets an die richtigen Stellen liefern und so die Versorgung der Eingeschlossenen sicherstellen.“ Technologische Innovationen, wie die von Martin genutzten, werden zu Hoffnungsträgern und zeigen, wie wertvoll die Verbindung von menschlichem Einsatz und technischem Fortschritt in Katastrophenmomenten ist.

 

Die Technik allein kann den Schmerz nicht lindern, doch sie schafft Raum für menschliche Nähe. Als Beispiel diente der mobile Signalverstärker, der innerhalb von Stunden in Ahrweiler errichtet wurde. Dies ermöglichte den Betroffenen, mit ihren Liebsten in Kontakt zu treten, was in solchen Momenten von unschätzbarem Wert ist.

 

Die Verknüpfung der individuellen Schicksale mit globalen Strukturen ist komplex. "Selbst in Deutschland funktioniert der Katastrophenschutz ja schon nicht länderübergreifend," so Gebbeken. Die Sendai-Ziele der UN sind ein ambitionierter Versuch, solche Probleme anzugehen, jedoch fehlt es an einer ausreichenden Vernetzung. Nationale Anhänge zu internationalen Abkommen können Harmonisierungsbestrebungen unterminieren, ein Dilemma, das erst durch massive Ereignisse wie die Flut im Ahrtal in das öffentliche Bewusstsein rückt.

 

Das Präventionsparadox, welches Gebbeken anspricht, zeigt sich deutlich in der Diskrepanz zwischen Bereitschaft zur Hilfe nach einer Katastrophe und der Investition in Vorsorgemaßnahmen. Die Wichtigkeit der Prävention wird oft erst im Nachgang einer Katastrophe erkannt, wie die Hochwasserkatastrophe von 2021 schmerzlich verdeutlicht hat. Setiadi verweist bei der Frage nach finanziellen Folgen von Umweltkatastrophen auf Studien von "Aktion Deutschland Hilft", die belegen, dass Prävention kosteneffizienter als Nachsorge ist. Diese Erkenntnis unterstreicht die Notwendigkeit, Risikobewusstsein und Priorisierung der Investitionen in Katastrophenvorsorge zu stärken.

Der Vergleich verschiedener nationaler Ansätze zeigt, dass es kein Einheitsrezept gibt. Was in einer Gemeinde funktioniert, mag in einer anderen fehlschlagen. Setiadi hebt hervor: „Es geht nicht nur um die großen Dämme und Sirenen. Es sind die kleinen Dinge, wie die Schulung der Bürger über Flutrisiken, die einen großen Unterschied machen können.“ Solche individuellen Anstrengungen formen das Rückgrat der nationalen Maßnahmen zur Katastrophenprävention und -reaktion.

 

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Feuer

Naturkatastrophen wie Waldbrände entwickeln sich global zu einem immer größer werdendem Problem (Symbolbild)

Credit: pixabay

In Deutschland ist der Katastrophenschutz Ländersache, unterstützt durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Die Rolle dieser Institution ist entscheidend, wie Gebbeken betont: „Sie sind das Bindeglied zwischen den Länderstrukturen und den nationalen sowie internationalen Hilfsmaßnahmen.“ Nach der Flutkatastrophe 2021 wurden Studien und Review-Maßnahmen initiiert, um aus den Ereignissen zu lernen und das Management zukünftiger Katastrophen zu verbessern.

Katastrophenprävention als internationale Aufgabe

Die internationale Dimension ist ebenso von großer Bedeutung. Zahlreiche Hilfsorganisationen, wie die im Bündnis "Aktion Deutschland Hilft", leisten weltweit Unterstützung, um die Resilienz in Risikogebieten zu stärken. "Wir unterstützen die lokalen Akteure dabei, eigene Präventivmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen", erläutert ein Koordinator der Organisation. "Das reicht von baulichen Maßnahmen bis hin zu Bildungsprogrammen über Risiken." Die internationale Hilfe ergänzt somit die nationalen Anstrengungen und trägt dazu bei, die Effektivität der Katastrophenvorsorge global zu erhöhen.

 

Im Ahrtal, wo der Schlamm getrocknet und die Fluten nur noch eine Erinnerung sind, blüht die Hoffnung in den Herzen der Menschen auf. Zum Beispiel bei Lukas H., einem Landwirt, dessen Felder überflutet wurden. Durch die Anwendung neuer, wasserdurchlässiger Anbaumethoden und den Bau erhöhter Beetstrukturen konnte er nicht nur seine Ernte retten, sondern auch seine Methoden verbessern. "Es ist ein kleiner Sieg, aber es zeigt, dass wir mit der richtigen Vorbereitung widerstandsfähiger gegenüber der Natur werden können," sagt er.

 

Die Entwicklung im Bereich der Katastrophenprävention kann, auch mit Blick in die Zukunft, als positiv bewertet werden. Experten wie die von "Aktion Deutschland Hilft" bestätigen dies und weisen darauf hin, dass die Katastrophenvorsorge zunehmend an Bedeutung gewinnt. "Die Investitionen des Auswärtigen Amtes in präventive Maßnahmen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagt Setiadi. Tatsächlich werden etwa 20 Prozent der Spendenmittel für Projekte der Katastrophenvorsorge eingesetzt – ein klares Bekenntnis zur Wichtigkeit dieser Arbeit. Der Blick nach vorn ist geprägt von einer Mischung aus Optimismus und der Anerkennung, dass noch viel zu tun ist. Die zunehmende Integration von Katastrophenvorsorge in die humanitäre Hilfe und die Anwendung präventiver Ansätze lassen hoffen, dass die Opferzahlen bei zukünftigen Katastrophen gesenkt werden können. Es ist ein langsamer, aber stetiger Wandel.

 

Die Antwort auf die Frage, wie sich die Naturkatastrophenprävention entwickelt hat und wie sich das auf die Menschen auswirkt ist nicht leicht. Aber wir wissen, sie liegt in der Tragödie und dem Wiederaufbau, in der Verzweiflung und der Hoffnung, in der Verwüstung und der Entschlossenheit, sich zu erholen und besser vorzubereiten. Im Auge des Sturms zu stehen bedeutet, der Zerstörung ins Gesicht zu blicken und dennoch die Kraft zu finden, die Stücke aufzuheben und neu zu beginnen. Es bedeutet, aus Fehlern zu lernen und sie in Erfolge zu verwandeln. Die Evolution der Naturkatastrophenprävention ist nicht nur eine Geschichte von technologischem Fortschritt und wirtschaftlichen Investitionen, sondern auch eine der menschlichen Resilienz und des gemeinschaftlichen Geistes.

Ein Artikel von

Conrad Solms-Laubach
Niklas Wick
Lorenz Schlich