Schein oder Sein? - Im Mittelpunkt der Inszenierung
Inszeniert echt? Sportinfluencerin Ada Theilken
Lara Hahn
Inszenierung kann Emotionen wecken und Nähe schaffen. Doch was passiert, wenn die Inszenierung „zur Fassade wird ohne inneres Fundament“? Kann man denn überhaupt klare Grenzen ziehen?
Vintage Kaffee Bar in Köln während der Arbeitszeit.
Lara Hahn
Der warme Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee und gebackenem Kuchen steigt einem sofort in die Nase, wenn man das kleine, urige Café in Köln betritt. Draußen hört man das Quietschen der Räder der Straßenbahn auf den Schienen.
Wenig später läutet die Glocke der Eingangstür des Cafés, und da steht sie: Ada Granada, die mit bürgerlichen Namen Ada Theilken heißt. Während sie die Treppe hochläuft, fällt einem direkt das strahlende Lächeln in ihrem Gesicht auf. So kennt man sie von Instagram: immer gut gelaunt.
Am Tisch angekommen, stellt sie den Kaffee vor sich ab und setzt sich auf den im Vintage-Stil gehaltenen Stuhl gegenüber. Wir fragen uns, ob dieser Auftritt echt ist. Oder war er bereits Teil einer Inszenierung?
Inszenierung
Was bedeutet Inszenierung überhaupt für Influencerinnen? Dazu haben wir uns erst einmal anderweitig in der Szene umgehört.
Die Bodybuilderin Janin Lea Götz hat 36.000 Follower. Auf ihrem Instagram-Kanal postet sie Reels über ihren Sportalltag und ihren Weg zur Bodybuilderin. Für Janin bedeutet Inszenierung: „Alles, was nicht der Wahrheit entspricht“. Das Ziel dabei wäre, Klicks zu generieren. Sie selbst lehnt das ab.
Die Hybrid-Athletin Alina Jochimsen kombiniert mehrere Sportarten und Trainingsmethoden. Die Influencerin mit 175.000 Followern beschreibt Inszenierung als „nicht zwangsläufig etwas Negatives“, jeder Mensch inszeniere sich in einer bestimmten Form, und zwar nicht nur online, sondern auch im echten Leben. Es dürfe nur nicht zur "Fassade ohne inneres Fundament" werden.
Diese Einstellung teilt Pia Dzimalle, Senior Marketing Managerin bei der Influencer-Marketing-Agentur „Lookfamed GmbH“. Zu ihrem Tagesgeschäft gehören Kampagnen, Creator-Management und die Beratung von knapp 30 Influencern.
Inszeniert? Vielleicht. Konzentriert? Ganz sicher.
Lara Hahn
Hinter dem Profil
Ada nahm 2021 bei der Wettkampf-Reality-Show Ninja Warrior Germany teil. Danach startete die Kölnerin ihre Karriere als Content-Creatorin, wie sie es selber nennt, und postete verstärkt Beiträge. Sie fand sofort Gefallen am Drehen von Videos und kurzen Reels. Mittlerweile hat sie über 114.000 Follower auf Instagram, die sie täglich mehrfach mit lustigen und außergewöhnlichen Kurzvideos versorgt. Eine ihrer spontansten Videoideen entstand, als sie mit ihrer Schwester bouldern war. "Da war ich so: komm', ich hänge mich mal einarmig hier an die Stange und werfe mal eine Scheibe hoch."
Laut Ada erhalten vor allem solche ungeplanten Aktionen eine besonders große Reichweite: „Fünf Minuten gedauert zu drehen, dann fünf Minuten zum Schneiden, fertig, und hat trotzdem sieben Millionen Aufrufe.“ Sie ist bekannt. Adas Mutter bekommt Kommentare zu hören, wie: „Ja, deine Tochter war wieder surfen auf High Heels.“
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Feste Haltung, klare Richtung
Lara Hahn
Ada wirkt offen, spricht frei, lacht laut. Sie möchte keine Rollen spielen, sondern echt erscheinen, ungefilterte Momente aus ihrem Leben posten, sagt sie. Sich nicht verstecken, auch wenn es mal unangenehm wird. Selbstironie ist ihr wichtiger als Ernsthaftigkeit. „Weil ich mich selber zu oft hopsnehme, weil ich mich selber zu oft verarsche“, erklärt sie.
Ihre Kollegin Janin Lea betont, dass man mehr Resonanz bekomme, wenn man so sei, wie man sei. Dazu gehöre auch mal „dumme Sprüche klopfen“ und ganz direkt seine Meinung zu äußern. Alina Jochimsen bringt es auf den Punkt: „Mein öffentliches Ich ist ehrlich und nahbar.“ Agenturfrau Pia Dizimalle spricht von einem zentralen Grundsatz: „Authentizität ist halt das höchste Gut im Influencer-Marketing.“
Auch bei ihren Kooperationen will Ada authentisch sein. Sie erklärt, dass sie auf ihrem Account nur Produkte und Dienstleistungen präsentiert, die sie zuvor selbst ausprobiert hat. Derzeit testet sie in Zusammenarbeit mit einen Nagellackhersteller ein Maniküre-Set.
Schattenseiten
Ada konsumiert auch selbst viele Online-Inhalte. „Ich swipe ganz normal süchtig durch Instagram, wie man es halt so macht“, erklärt sie. Um nicht so viel Zeit auf Social Media zu verbringen, hat sie Zeitslots festgelegt. Umsetzen kann sie das jedoch nicht immer. Sie sagt dann in solchen Momenten zu ihrem Freund: „Wir legen jetzt das Handy weg und spielen Vier gewinnt.“ Doch nur weil der Handybildschirm dunkel ist, bedeutet das nicht, dass die digitale Welt sich auch eine Auszeit nimmt.
Content-Creatorinnen erhalten nicht nur freundliche und konstruktive Kommentare, sondern auch unangemessene Äußerungen und Beleidigungen. Ada bekommt täglich negative Kommentare, zum Beispiel Nachrichten zu Reels, in denen sie keinen BH trägt. Ein Nutzer schreibt „Ada schaltet auf Fernlicht“. Auf solche Kommentare reagiert Ada stets mit Humor und postet daraufhin ein Reaktionsvideo mit der folgenden Caption: „Nippel sind krass – Die haben dich gefüttert Bro.“
Likes als Job
Eine weitere Frage, die viele Content-Creatorinnen beschäftigt, ist, wie sich ihre Tätigkeit mit dem restlichen Leben vereinbaren lässt, auf privater und finanzieller Ebene. Ada verdient durch Werbedeals genug Geld, um ihr komplettes Studium und ihre Wohnung in der Großstadt Köln problemlos zu finanzieren. Manchmal, so sagt sie, arbeite sie jedoch zu viel und verpasse, im Moment zu leben.
Die Influencer-Marketing-Expertin Natalie Fribe betreut seit Jahren Marken bei Kampagnen und gilt als Branchenexpertin. Nach ihren Angaben erhalten Influencer mit einer Followerzahl zwischen 50 und 500.000 eine Geldsumme zwischen 500 und 5.000 Euro pro Beitrag. Die genaue Vergütung variiert jedoch je nach Art der Veröffentlichung. Für ein Reel werden im Durchschnitt 100 bis 3.000 Euro gezahlt, für eine Instagram-Story meist nur 40 bis 100 Euro.
Eine aktuelle Studie des Instituts für Psychologie von der Universität Köln bestätigt vieles, was Ada, ihre Kolleginnen und die Marketing-Expertinnen sagen. Rund die Hälfte der befragten Influencerinnen wollen sich mit ihrem Job vor allem selbst verwirklichen, aber auch Geld verdienen. Etwa vier von fünf denken, dass sie sich authentisch darstellen. Wenn sie sich weniger authentisch präsentieren und zum Beispiel Bilder stark bearbeiten, dann liegt das nach ihren Angaben unter anderem an der Angst vor negativem Feedback, mangelnder Positivität und Motivation des Publikums, an falschen Kooperationspartnern oder der eigenen Unsicherheit.
Schein und Sein
Die Mikrofone sind ausgeschaltet und der Kaffee ist ausgetrunken. Ada macht sich auf den Weg nach draußen, die kleine Wendeltreppe hinunter zur Tür des Cafés. Schon jetzt drehen vermehrt die Gäste ihre Köpfe in ihre Richtung und fangen an, untereinander zu tuscheln, vermutlich aufgrund ihrer Bekanntheit in Köln.
Ada verabschiedet sich, steigt auf ihr Rad und fährt los. Ihr Job geht weiter. Es warten bereits Kooperationsanfragen, Meetings und neue Kommentare aus ihrer Community.
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Lara und Darija gewähren einen Einblick in die Welt der Content-Creatorinnen. Dabei sprechen sie über die Gratwanderung zwischen Selbstinszenierung und Selbsttreue.
Pascal Warner
Ein Artikel von