Gesellschaft

Verpackungsmüll, Nachhaltigkeit, Abfallreduzierung! Wie passt das zusammen?

Florian Niesen
Elisa Rüter
Christoph Weber
Lesezeit 9 Minuten
Abfüllen im Unverpackt-Laden
Credit: Niesen, Rüter, Weber
Uns fällt selbst auf, wie viel Verpackungsmüll wir Tag für Tag produzieren. In unserer Recherche klären wir, wie viel es wirklich ist und wie sich das vermeiden ließe.
Lesezeit 9 Minuten

Nachhaltigkeit. Ein Wort, das mittlerweile jedem schon einmal begegnet ist: „Die Klimapolitik in Deutschland muss nachhaltiger werden!“, „Nachhaltigkeit wird bei unserem Unternehmen großgeschrieben!“, oder: „Ich achte auf eine nachhaltige Lebensweise.“ Man könnte fast meinen, wir sind schon auf dem besten Weg. Oder?

Der Magen knurrt. Das Essen haben wir vor 40 Minuten bestellt. Geliefert wird neuerdings immer per Fahrrad. „Vielleicht dauert es deshalb so lange“, denke ich mir. Dann klingelt es endlich. Ein freundlicher Mann drückt mir eine große Plastiktüte in die Hand und wir verabschieden uns. Sofort teile ich das Essen aus: Einen gemischten Salat in der Plastikschüssel, dazu ein frisches Baguette in Alufolie, einmal Rigatoni mit Tomatensoße in der Aluschale mit Pappdeckel und eine große Pizza Margherita im Pappkarton. Wir zögern nicht lange und fangen an zu essen. Plötzlich sagt mein Freund: „Schon krass, wie viel Verpackungsmüll ein Mal Essenbestellen verursacht“.

Tatsächlich steigt der Verpackungsmüll in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter an, wie eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes zeigt. Im Jahr 2019 zuletzt auf rund 18,91 Millionen Tonnen, was ganzen 227,55 Kilogramm pro Kopf entspricht. Mit dieser Menge liegen wir im Vergleich zu allen anderen EU-Ländern auf Platz zwei. Nur Irland verbrauchte mit 227,98 Kilogramm pro Kopf ein bisschen mehr.

 

Etwas über die Hälfte davon geht auf die Industrie zurück. Doch jeder Einzelne von uns verursacht im Schnitt 103,37 Kilogramm Verpackungsmüll pro Jahr. 

 

Davon entfallen über 60 Prozent auf Verpackungen für Lebensmittel, Tierfutter und Getränke, wie das Umweltbundesamt zuletzt in seinem Abschlussbericht 2017 aufzeigte. So richtig nachhaltig hört sich das nicht an. Doch mittlerweile breitet sich ein neuer Trend aus, der genau dort ansetzt: Beim Einkaufen.

Gemeint sind sogenannte „Unverpackt-Läden“. Diese bieten ihre Produkte völlig verpackungsfrei an. Das Konzept dahinter ist simpel: Das Einzige, was für den Einkauf benötigt wird, ist ein mitgebrachtes Behältnis. Darin wird dann die gewünschte Menge an Lebensmitteln abgefüllt, an der Kasse gewogen, bezahlt und fertig. Noch hält sich die Anzahl dieser Läden in Grenzen. Der Verband der Unverpackt-Läden zählte im November letzten Jahres 471 solcher Unverpackt-Geschäfte in Deutschland, acht davon beispielsweise in München. Doch wie bekannt ist eigentlich dieses Konzept? Und wieso kauft ein Verbraucher dort ein oder warum entscheidet er sich dagegen? Um das herauszufinden, haben wir eine kleine Umfrage mit 165 Teilnehmenden gestartet. Das Ergebnis: Lediglich 22,4 Prozent der Befragten haben schon einmal in einem Unverpackt-Laden eingekauft.

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Daumen hoch, Daumen runter
Credit: Niesen, Rüter, Weber

Der Hauptgrund, weshalb die meisten dort noch nie eingekauft haben, ist, dass es keinen Unverpackt-Laden in ihrer unmittelbaren Nähe gibt. 69,5 Prozent gaben dies als Grund an. Am zweithäufigsten wurde genannt, dass sie mit ihren bisherigen Geschäften zufrieden sind. Weitere genannte Motive waren unter anderem eine zu geringe Auswahl an und als zu teuer empfundenen Produkten. 93 Prozent dieser Verbraucher kaufen ihre Lebensmittel im Supermarkt ein. Jedoch gaben 68,8 Prozent an, dass sie in nächster Zeit vorhaben beziehungsweise möglicherweise vorhaben, einen Unverpackt-Laden auszuprobieren.

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Und was ist mit denen, die dort schon einmal Einkaufen waren? Welche Bewegründe haben sie? Ganz klar auf Platz eins mit 81,1 Prozent steht die Aussage, den Verpackungsmüll reduzieren zu wollen. Der Umweltschutz spielt mit 67,6 Prozent ebenso eine große Rolle. Für ungefähr jeweils ein Drittel ist die perfekte Portionsgröße und eine erwartete höhere Qualität ein Grund für den Einkauf. Erstaunlicherweise kaufen auch diese Kunden dort nicht regelmäßig ein. 97,2 Prozent gaben an, dort nur selten oder gelegentlich einzukaufen.

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Diese Umfrage ist nur eine Stichprobe und natürlich nicht repräsentativ für die gesamte Gesellschaft. Dennoch decken sie sich mit den Aussagen von Chrissi, der Besitzerin eines Unverpackt-Ladens…

Gleich sind wir da. Das Logo kann man bereits erkennen: „Servus Resi – natürlich unverpackt“, heißt es auf der Eingangstür. Wir waren selbst noch nie in einem Unverpackt-Laden und sind gespannt, was uns erwartet. Uns sticht sofort eine große hölzerne Theke vor einer grünen Wand ins Auge. Darüber befinden sich viele röhrenartige, befüllte Behälter. „Es ist doch viel größer, als ich gedacht habe“, denke ich mir. Der Laden wirkt sehr gemütlich. Keine Hektik, kein Stress – ganz anders als in einem Discounter. Links hört man plötzlich ein unverkennbares Geräusch. Eine Frau füllt gerade etwas in ein Gefäß ab, vermutlich Linsen. Dann sehen wir auch schon Chrissi, die Besitzerin des kleinen Unverpackt-Ladens in München.

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Portrait Chrissi Holzmann

Chrissi Holzmann

Credit: Niesen, Rüter, Weber

„Mich selbst hat der Verpackungsmüll bei mir zu Hause total gestresst und gestört,“ erklärt Chrissi. Aber auch sie hatte das Problem, dass es in ihrer Nähe einfach keine Unverpackt-Läden gab. Im Frühjahr 2020 hat sie sich dann „einen kleinen Traum erfüllt, die Nachbarschaft ein klein wenig nachhaltiger zu gestalten“. Der Hauptgrund der Kunden, bei ihr einzukaufen, ist ihr klar: „Die Motivation für die meisten ist natürlich in erster Linie, den Verpackungsmüll zu reduzieren“. Bevor sich aber das Konzept vom verpackungsfreien Einkauf in der breiten Masse durchsetzt, müssen ihrer Meinung nach die großen Ketten mitziehen. Damit das aus ihrer Sicht in Zukunft auch passiert, kommt uns allen eine wichtige Rolle zu: „Man darf in meinen Augen als Konsument nicht vergessen, dass man eine irre große Macht hat. Jeder Einkaufszettel ist ein Stimmzettel und ich kann mit meinem Einkauf […] ganz genau überlegen, was und wen ich unterstützen will.“

Interview Chrissi Holzmann
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Es gibt also Möglichkeiten, den Verbrauch an Verpackungen im Alltag zu reduzieren. Einen Unverpackt-Laden hat trotzdem nicht jeder um die Ecke. Es bieten jedoch auch viele Supermärkte bereits verschiedene Produkte unverpackt an. Um herauszufinden, wie viel Verpackungsmüll tatsächlich beim wöchentlichen Einkauf eingespart werden kann, haben wir einen kleinen Selbstversuch durchgeführt. Dafür sind wir drei Mal unterschiedlich einkaufen gegangen: Beim ersten Mal haben wir sämtliche Produkte bei Rewe eingepackt gekauft, beim zweiten Mal haben wir versucht, so viel wie möglich ohne oder mit wenig Verpackung zu kaufen und zu guter Letzt haben wir alles was geht im Unverpackt-Laden „Servus Resi – natürlich unverpackt“ beschafft. Produkte, die es dort nicht gab, haben wir versucht, bei Rewe unverpackt zu kaufen. Ging auch das nicht, mussten wir zu verpackten Lebensmitteln greifen. Was genau auf unserem Einkaufszettel stand, seht ihr in der Bilderreihe zu unserem Einkauf.

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Bild Einkauf

Credit: Niesen, Rüter, Weber


Credit: Niesen, Rüter, Weber
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Bild Müll

Credit: Niesen, Rüter, Weber


Credit: Niesen, Rüter, Weber
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Einkaufsliste

Credit: Niesen, Rüter, Weber


Credit: Niesen, Rüter, Weber

Das Ergebnis zeigt deutliche Unterschiede. Bei unserem ersten Einkauf bei Rewe verursachten wir insgesamt 843 Gramm Verpackungsmüll. Als wir bewusst unverpackte Artikel bevorzugt haben, waren es nur noch 429 Gramm. Am meisten konnten wir hier bei Obst und Gemüse einsparen, das oft auch im Supermarkt unverpackt angeboten wird. Im Unverpackt-Laden sind wir natürlich ohne Verpackungen ausgekommen. Für das, was es dort nicht gab, sind nur noch 126 Gramm angefallen. Durch bewusstes Einkaufen konnten wir also über 85 Prozent an Verpackungsmüll vermeiden.

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Der Selbstversuch verdeutlicht, dass es relativ einfach ist, den individuellen Verpackungsverbrauch zu reduzieren. Jeder kann also ohne großen Aufwand etwas nachhaltiger leben. Und trotzdem sollte nicht gleich jede Verpackung verteufelt werden. Denn sie haben durchaus auch wichtige Funktionen. So schützen Verpackungen vor Umwelteinflüssen und erhalten damit die Qualität der Lebensmittel, verlängern die Haltbarkeit und können dadurch helfen, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Zudem liefern sie uns wichtige Informationen über die Lebensmittel und ermöglichen verschiedene Portionsgrößen. Bei richtiger Mülltrennung kann sogar ein Großteil der Verpackungen wiederverwertet werden. Eine Welt ohne Verpackungen wird es also nicht geben und das ist auch gar nicht wünschenswert. Aber man kann bewusst auf unnötige Verpackungen verzichten und so der Umwelt etwas Gutes tun.

Der Magen knurrt. Seit gut 40 Minuten stehe ich in der Küche und schwinge den Kochlöffel. „Hoffentlich schmeckt es allen“, denke ich mir. Dann klingelt es auch schon. Meine Freunde stehen vor der Tür und wir begrüßen uns herzlich. Kurz darauf ist das Essen schon fertig. Es gibt: gemischten Salat mit frischem Brot vom Bäcker nebenan und Nudeln vom Unverpackt-Laden mit selbst gemachter Tomatensoße. Ich teile aus und wir fangen sofort an zu essen. Dann sage ich zu meinem Freund: „Schon krass, wie man durch bewusstes Einkaufen ein leckeres Gericht zaubern kann – und das sogar fast ohne Verpackungsmüll“.

Ein Artikel von

Florian Niesen
Elisa Rüter
Christoph Weber