Notaufnahme: Zwischen Notstand und Reform
LMU-Klinikum Innenstadt: Tag und Nacht treffen dutzende Notfälle mit dem Rettungsdienst ein.
Tom Schneider
Notaufnahme Innenstadt
Monitore piepsen in unregelmäßigen Abständen. Fast lautlos schiebt das Personal die Türen auf und zu. Unruhe liegt in der Luft. Aus dem Wartezimmer sind Gespräche zu hören, über den Gang hallen Schritte der Mitarbeiter. Es ist, als würde die Zeit in der Notaufnahme des Ludwig-Maximilian-Universitätsklinikums, kurz LMU Klinikum, stillstehen und gleichzeitig davonrennen.
Aus Behandlungsraum 4 dringt eine ruhige, aber bestimmte Stimme: „Es ist alles in Ordnung, wir kümmern uns um Sie." Hinter der Schiebetür liegt ein älterer Herr, nennen wir ihn Patient A. Ohnmacht, dann ein Sturz – so der Rettungsdienst bei der Übergabe an die Leitstelle. Cephalgie und Desorientierung stehen im Protokoll. Übersetzt bedeutet das so viel wie Kopfschmerzen und Verwirrung – eine gefährliche Kombination. Sie kann auf lebensbedrohliche Zustände wie eine Hirnhautentzündung, eine Hirnblutung oder einen Schlaganfall hinweisen. Mit beruhigenden Worten beginnt der junge Assistenzarzt Phillip Starke die Behandlung.
Wie die Notaufnahme funktioniert
Die Zentrale Notaufnahme (ZNA) ist das Nadelöhr des Gesundheitssystems: Die Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Krankenhaus und damit die erste Anlaufstelle für akute medizinische Notfälle. Die Ärztinnen und Ärzte hier entlasten die Normalstationen, denn sie diagnostizieren, behandeln und steuern die Patienten und Patientinnen, bevor es in den stationären Teil des Systems geht. Hochfrequentiert und systemrelevant: In der Münchener Innenstadt werden jährlich bis zu 300.000 Patienten behandelt.
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[Grundriss basierend auf Fluchtplan des LMU Klinikums, Copyright: LMU Klinikum]
Das Unvorhersehbare zu koordinieren – das ist die Hauptaufgabe von Professor Markus Wörnle.
Tom Schneider
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Verantwortlicher für die Notaufnahme am Campus Innenstadt ist Markus Wörnle. Er ist seit 2021 Leiter der zentralen Notaufnahme, insgesamt besitzt er 15 Jahre Erfahrung in der Notaufnahme. „Ich kümmere mich darum, dass wir ein festes Fundament haben," so Wörnle. Er legt einheitliche Standards fest, also strukturierte Abläufe und klare Vorgehensweisen. Für jedes Verletzungsmuster oder Krankheitsbild gibt es einen Leitfaden und klar geregelte Zuständigkeiten. Dadurch sitzt jeder Handgriff, auch wenn es mal schnell gehen muss.
Status Quo Notfallversorgung
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Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Ambulante Behandlungen in Notaufnahmen sind seit Corona wieder deutlich gestiegen, 2023 waren es 12,4 Millionen. Ambulant bedeutet, dass die Patienten nach der Behandlung wieder nach Hause gehen konnten.
Die wachsende Zahl an ambulanten Fällen wird oft als „unnötig“ kritisiert. Doch sie hat viele Gründe. Zum einen, dass immer mehr Menschen, aktuell fast 75% der erwachsenen Bevölkerung, Gesundheitsinformationen nicht ausreichend verstehen. Sie können zum Beispiel nicht einschätzen, wie dringend die Behandlung ist. Oder sie kennen keine anderen Anlaufstellen wie den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst, so eine Studie des LMU Klinikums Innenstadt. Zum anderen landen sie manchmal auch in der Notaufnahme, weil in der Hausarztpraxis die Ausstattung fehlt, sie aber in absehbarer Zeit keinen Termin beim Facharzt oder für eine Röntgenaufnahme bekommen.
„Eine toxische Gleichzeitigkeit von Überversorgung, Unterversorgung und Fehlversorgung, die die Patientensicherheit und Versorgungsqualität wirklich gefährdet und auch das Personal massiv belastet oder überbelastet,“ sagt Laura Weber, Landtagsabgeordnete der Grünen im bayerischen Gesundheitsausschuss. Die Gefahr: Diagnosen werden schlechter, weniger Leben können gerettet werden.
Reformstau
Im Jahr 2018 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – das zentrale Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen – die Notfallversorgung reformiert. Im Jahr 2024 sollte eine weitere Reform folgen. Der Gesetzesentwurf zur Reform der Notfallversorgung sah unter anderem die Einrichtung Integrierter Notfallzentren (INZ) in ganz Deutschland vor. Er sollte die ambulanten und stationären Notfallversorgung besser vernetzen und die Notaufnahmen entlasten. Aber das Vorhaben scheiterte mit dem Ende der Ampelregierung und liegt momentan auf Eis. Laura Weber fordert: „Wir brauchen auf jeden Fall Integrierte Notfallzentren, also gemeinsame Anlaufstellen.“ Zwar gibt es in einigen Krankenhäusern sogenannte Notfallpraxen, um die Notaufnahme zu entlasten, aber nicht flächendeckend.
Anna Slagman, Expertin für Notfallmedizinische Versorgungsforschung und Professorin an der Charité in Berlin wurde als Einzelsachverständige für den Gesetzentwurf geladen. In ihrer schriftlichen Stellungnahme betont sie, dass nicht die Patienten das Problem sind, sondern andere Faktoren: Fehlende Betten, ineffiziente Prozesse und schlechte Verbindung der Versorgungsstrukturen zwischen Ambulanz und Station. Auch Weber stimmt dem zu: „Die strukturellen Probleme sollten deshalb erste Priorität haben und im Vordergrund stehen und nicht eben das potenzielle Fehlverhalten des Einzelnen.“
Realität der LMU-Klinik
Für Phillip Starke sind Selbstreflexion und ein gutes Team das beste Mittel gegen Stress.
Tom Schneider
Der junge Assistenzart Phillip Starke spürt den Druck und die Belastung in der LMU Klinik täglich. Er sieht sie aber eher als grundsätzlichen Teil der Notaufnahme, nicht erst verursacht durch personelle Lücken oder äußere Faktoren. Es sei eine fordernde Bereicherung, die man bewältigen könne, wenn man reflektiere und auf sein Bauchgefühl höre. Mittlerweile hat er seine "Normalität im Chaos" gefunden. Aber auch er merkt an, dass die Notaufnahme der LMU Innenstadt einige Vorteile genießt, die nicht überall vorhanden sind. Ein Universitätsklinikum in der Großstadt hat einen konstanten, großen Personalpool, weil immer neue Mediziner in Ausbildung nachrücken.
Auch die gute medizinische Infrastruktur der bayerischen Hauptstadt greift zusätzlich unter die Arme. Besonders die Bereitschaftspraxis am nicht weit entfernten Elisenhof fängt viele Patienten vorher ab. An ihre Kapazitätsgrenzen kommt die Abteilung dennoch: Trotz fehlender Betten lenkt die Rettungsleitstelle zu ihnen. "Rot ist für die dann auch gleich grün", sagt Markus Wörnle mit einem Schmunzeln - in Notfällen muss man sich eben anpassen.
Was zählt
Gegen Nachmittag darf Patient A wieder nach Hause. Glücklicherweise wurden keine Verletzungen festgestellt. Doch das konnte nur die Untersuchung ergeben. Es zeigt, wie wichtig die Notaufnahme ist, und dass man ambulante Fälle nicht als "unnötige Besuche" pauschalisieren kann. Verallgemeinern könne man an keiner Stelle, sagt Professor Wörnle mit Nachdruck, denn jede Notaufnahme habe andere Rahmenbedingungen, jeder Patient eine Daseinsberechtigung.
Laura Weber, Vertreterin der Grünen im Gesundheitsausschuss setzt weiter auf die ausstehende Reform der Notfallversorgung: „Ich denke, wenn in dem Bereich was angegangen wird, dann ist das wahrscheinlich das drängendste." Im Bundestag hat ihre Partei einen Gesetzesantrag eingebracht. Alle Fraktionen waren sich in der Debatte einige, dass eine Reform nötig ist. Die Bundesregierung hat versprochen, bald einen eigenen Entwurf vorzulegen.
Auf dem Weg zum nächsten Einsatz – Der Rettungsdienst verlässt den Campus.
Tom Schneider
Ein Artikel von