Gesellschaft

Politisch heimatlos: Auf der Suche zwischen links und rechts

Davina Blößer
Lilith Stammert
Lesezeit 8 Minuten, Audio 12 Minuten
Trotz Regens informieren sich Besucherinnen und Besucher an den bunten Ständen verschiedener Parteien und Organisationen entlang der Leopoldstraße in München.

Politik zum Anfassen am Corso Leopold: Besucherinnen und Besucher an den Ständen von Parteien und Organisationen entlang der Leopoldstraße in München.

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Davina Blößer

Viele junge Menschen fühlen sich nicht mehr von den traditionellen Parteien repräsentiert. Eine Herausforderung für die Demokratie.
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Ruben, 26, beschäftigt sich intensiv mit politischen Fragen – doch klare Antworten und echte Zugehörigkeit findet er selten.

Ruben, 26 Jahre, beschäftigt sich intensiv mit politischen Fragen, doch er fühlt sich keiner Partei zugehörig.

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„Ich fühle mich in vielen politischen Bereichen nicht hinreichend vertreten von der Politik“, sagt Ruben, 26 Jahre alt, BWL-Student. Aber nicht nur ihm geht es so. Laut Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, gibt es immer mehr junge Menschen, die sich von der Politik vernachlässigt fühlen. Dafür hätten vor allem die Krisen der letzten Jahre gesorgt, wie zum Beispiel die Klimakrise, die Flüchtlingskrise und die Inflation.

"Das ist ja nicht lustig, wenn man sich ständig überlegen muss, was kommt eigentlich als nächstes." Die dadurch entstehende Unsicherheit treffe vor allem junge Menschen, weil diese größere Zukunftsängste entwickeln.  "Diese Generation muss mit diesen Krisen ja noch viel länger leben." Ruben findet, dass die letzte Bundesregierung falsch mit solchen Krisen umgegangen ist und will seine Entscheidung für eine Partei bei zukünftigen Wahlen stärker überdenken. 

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Zu sehen ist ein Handy in der Hand einer Userin mit der Wahl-O-Mat-Startseite.

Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2025, ein beliebtes Tool zur politischen Orientierung, besonders bei jungen Erwachsenen.

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Außerdem, so die Politik-Professorin Ursula Münch, nehme die Parteibindung ab, weil die Menschen zunehmend individuellere Entscheidungen träfen und das Leben immer mehr durch Selbstverwirklichung und persönliche Lebensgestaltung geprägt werde. Dies beschreibt auch die „Die Mitte“-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Weil traditionelle Milieus, die Bindung an Kirchen oder Gewerkschaften abnehmen, lösen sich auch die Bindungen an Parteien. So haben vor allem die einstigen Volksparteien CDU/CSU und SPD im Laufe der Jahre drastisch an Bedeutung verloren. 

 

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Wahlplakate wie das von SPD-Politiker Dieter Reiter mitten in der Stadt zwischen Supermarkt, Eiscafé und Bierbänken.

Auch im Alltag sichtbar: Politik ist überall. 

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Eine andere Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, „Demokratievertrauen in Krisenzeiten“, zeigt, dass das Vertrauen in politische Institutionen generell gesunken ist. Viele Bürger empfinden eine wachsende Distanz zur Politik und den Parteien der Mitte, die bisher im Wechsel die Bundesregierung stellen. "Dadurch werden politische Räume links und rechts frei. Und rechts kann man durchaus sagen, ist die AfD einmarschiert und hat sich da festgesetzt mit schauderhaftem Erfolg", so Professor Wolfgang Merkel, ehemaliger Direktor des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

→ Wissen Sie, wo sich welche Partei befindet? - Finden Sie es heraus. 

Hinter den Frage-Icons verbirgt sich jeweils eine Partei aus dem deutschen Parteienspektrum. Wenn Sie mit der Maus über die Icons fahren, finden Sie heraus, ob Sie richtig lagen.  

Quelle: Uwe Wagschal, Politikwissenschaftler

Aber was genau ist die politische Mitte eigentlich? "Politische Mitte bedeutet, dass die Parteien miteinander koalitionsfähig sind und koalitionsbereit", sagt Münch. Selbstbeschreibend erhoffen sich die Parteien durch ihren Stand in der demokratischen Mitte einen Wettbewerbsvorteil. Münch und Merkel ordnen, wie die herrschende Meinung der Politikwissenschaft, CDU/CSU, Grüne, SPD und FDP der Mitte zu. Merkel gibt aber auch zu bedenken, dass keine scharfen Trennlinien bestünden und die Mitte nicht klar abgrenzbar zur Nicht-Mitte sei. Die Grünen seien von einer stark innovativen, auch ganz leicht radikalen Tendenz, in die Mitte marschiert und zwar besonders stark während der Ampelkoalition. Die Mitte verschwinde also nicht. "Sie ist nur dünner geworden, hinsichtlich der Wähler, die diese Partei wählen." Besonders junge Leute wandern zu den Rändern. 

 

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"Die CDU und SPD sind total langweilige Parteien geworden. Sie werden gewählt von den Ü60, weil sie deren gemäßigte Wertevorstellungen, keine Experimente und sichere Renten repräsentieren" so Merkel. "Sie vertreten auch tatsächlich die Interessen der Mehrheit. Und diese Mehrheit sind alte oder ältere Menschen in unserer Gesellschaft." Wenn junge Menschen etwas verändern wollten, wählten sie neuere Parteien. "Die haben einen gewissen Anti-Establishment-Anstrich." Und wer sich wirklich engagiert, geht oft nicht in eine Partei, sondern zu einer Nichtregierungsorganisation (NGO) oder auf Demonstrationen wie Fridays for Future. Bei der letzten Bundestagswahl, daran erinnert Ursula Münch, "haben die Erstwählerinnen und Erstwähler noch voller Begeisterung die FDP und die Grünen gewählt". Doch die haben diesen Anti-Establishment-Nimbus verloren. 

 

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Auf dem Corso Leopold, einem Straßenfest in München, bei dem sich auch Parteien präsentieren, fällt auf, dass vor allem ältere Bürger und Bürgerinnen sich an den Ständen informieren - kaum junge Menschen. "Viele holen sich womöglich einen großen Teil ihrer Informationen von TikTok und so weiter," sagt Ursula Münch. Die seien über traditionelle Kanäle immer schwieriger zu erreichen. Gerade die AfD ist auf Social Media bei jungen Menschen sehr erfolgreich. "Ein TikTok-Video zur Reform der Rente ist halt weniger sexy, als irgendwelche sehr überzeichneten Forderungen von extremeren Parteien", sagt Kajetan Haeusgen von der Jungen Union am Stand der CSU.  "Seriöse Parteien tun sich zwangsläufig schwerer, weil sie eben nicht schamlos lügen und nicht nur über den politischen Gegner hetzten", bestätigt Münch.

 

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Parteistände Corso Leopold2

Beim Corso Leopold nutzen Parteien wie Volt, SPD und Die Grünen die Gelegenheit, mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen.

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Emma, 20, aus Paderborn, wünscht sich mehr Verlässlichkeit und klare Positionen von den Parteien der politischen Mitte.

Emma, 20 Jahre, aus Paderborn, wünscht sich mehr Verlässlichkeit und klare Positionen von den Parteien der politischen Mitte.

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Auch Emma kann den Parteien der Mitte nicht vollständig vertrauen. Sie ist 20 Jahre alt und absolviert zur Zeit ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Pflege. "Zu hundert Prozent kann ich nicht hinter einer Partei stehen, da oft Kompromisse gemacht werden, die nicht mit den ursprünglichen Werten übereinstimmen", sagt sie. Ruben stört, dass Wahlversprechen nicht eingehalten werden. Auch die gescheiterte letzte Bundesregierung hat sein Vertrauen in die Politik geschwächt. 

Ursula Münch sieht da einen "Teufelskreis: Wenn eine Koalitionsregierung viele Kompromisse machen muss, wählen die Menschen beim nächsten Mal neue, vielleicht kleinere und extremere Parteien. "Unser eigenes Wahlverhalten in der Summe trägt dazu bei, dass Regierungen immer weniger durchsetzungsfähig und handlungsfähig sind, dadurch werden die Leute noch unzufriedener. Man fühlt sich nicht nur individuell als Wähler selbst ohnmächtig, sondern man hat den Eindruck, naja, die Regierung ist ja ohnmächtig und vergisst, dass man womöglich auch selber ein bisschen mit dazu beigetragen hat."

Emma und Ruben fordern keine konkreten politischen Einzelmaßnahmen, sondern allgemeine Veränderungen, um die Unzufriedenheit insbesondere unter jungen Menschen zu verringern.  "Ich würde mir wünschen, dass die Politik mehr Mut zur Handlung bei wichtigen Themen hat, wie Migrationspolitik, Krisen und Wirtschaft. Sowie, dass Deutschland eine  langfristige Strategie entwickelt, welche dafür sorgt, dass bessere politische Entscheidungen getroffen werden", sagt Ruben.

+++ Podcast: Politische Bildungsarbeit +++

    

Gespräche mit der Hanns-Seidel-Stiftung
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Wir waren zu Besuch bei der Hanns-Seidel-Stiftung, einer politischen Stiftung, die der CSU nahesteht. Dabei erhielten wir interessante Einblicke in ihre Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

 

Unsere Interviewpartner von der Hanns-Seidel-Stiftung:

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Der Referatsleiter Karl Heinz Keil aus dem Institut für politische Bildung.

Karl Heinz Keil, Referatsleiter Institut für politische Bildung 


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 Dr. Jutta Möhringer ist die Leiterin des Instituts für Begabtenförderung.

Irmak Kalac, Social Media Mitarbeiterin


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 Dr. Jutta Möhringer ist die Leiterin des Instituts für Begabtenförderung.

Jutta Möhringer, Leiterin Institut für Begabtenförderung


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Ein Artikel von

Davina Blößer
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