Gesellschaft

Versprechen statt Realität - Radfahren in Münchens Mitte

Nils Bittrich
Rudolf Pracht
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Zu sehen ist ein Bus in einem Kreisverkehr, gemeinsam mit Radfahrern.

Stellen wie diese lassen Radfahrer Unbehagen spüren. Sie müssen den Kreisverkehr gemeinsam mit Bussen nutzen.

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Rudolf Pracht

Zwischen Fahrrad-Demo und Alltag – wir haben nachgefragt. Was läuft gut, was muss sich ändern? Stimmen von Betroffenen und Fachleuten.
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Sonntagnachmittag, 18. Mai 2025. Wo sonst Motorengeräusche den Ton angeben, regiert das Surren der Räder. Auf der Sonnenstraße, einer der meistbefahrenen Verkehrsachsen Münchens, radeln Tausende Menschen nebeneinander, überholen sich lachend. Kinder winken aus Lastenrädern. Eine Stimme aus dem Lautsprecher ruft: „Diese Stadt gehört nicht nur den Autos!“. 

 

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Wir waren mit der Kamera dabei und haben die Radsternfahrt 2025 begleitet. Eindrücke davon finden Sie in unserem Video – unterlegt mit einer der Schlussreden vom Königsplatz.

 

Doch was bleibt, wenn die Straßen wieder frei sind? Was sagen die Menschen, die tagtäglich mit dem Rad durch die Stadt fahren – und was tut die Stadtpolitik wirklich?

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Abgebildet ist ein LKW der über einen Radweg fährt

Der LKW gefährdet hier Radfahrer, indem er den Radweg am Münchner Odeonsplatz blockiert.

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Rudolf Pracht

Laut Zahlen der Landeshauptstadt nutzen die Münchnerinnen und Münchner das Fahrrad für jeden fünften täglichen Weg. Die Hälfte der Bevölkerung fährt täglich mit dem Rad. Vier von fünf Haushalten besitzen mindestens ein Rad, aber nur etwa die Hälfte ein oder mehrere Autos. Dennoch zeigt der ADFC-Fahrradklima-Test 2024: Münchens Radfahrer sind unzufrieden. Nur mit 3,9 – also ausreichend – benoteten die Befragten die Fahrradfreundlichkeit ihrer Stadt. Die Hauptkritikpunkte sind zu schmale Radwege, die dann auch noch von Falschparkern versperrt werden.  Fast drei Viertel der Befragten fühlen sich nicht sicher im Verkehr. 

Stéphane und Anne-Charlotte waren bei der Sternfahrt dabei. Sie sind vor zweieinhalb Jahren aus Frankreich nach München gezogen. Beide nutzen das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel. „Ich habe kein Deutschlandticket, ich fahre alles mit dem Fahrrad: zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sport“, sagt Anne-Charlotte. Ihr Weg führt sie täglich quer durch die Innenstadt. Sie findet, dass sich die Situation in den letzten Jahren schon etwas gebessert hat, aber zufrieden ist sie noch nicht: „Es gibt Stellen, wo der Radweg plötzlich endet oder so schmal ist, dass man kaum überholen kann. Und oft stehen einfach Autos darauf.“

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Man sieht Stéphane und Anne-Charlotte auf ihrem Fahrrad.

Stéphane und Anne-Charlotte fahren zwar gerne durch den Englischen Garten, aber zufrieden sind sie mit den Radwegen an den Verkehrsstraßen noch nicht.

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Anne-Charlotte

Stéphane fährt lieber abseits: „Ich nutze selten die offiziellen Radwege, viele davon sind gefährlich oder teilen sich den Raum mit Fußgängern. Für mich ist das kein Radweg.“ Beide sehen in der Sternfahrt eine Möglichkeit, Sichtbarkeit zu schaffen: „Man merkt, wie viele wir sind. Und wie viel Platz auf einmal da ist, wenn die Autos wegbleiben.“

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Zu sehen ist Georg mit seinem Fahrrad

Georg teilt seine Erfahrungen, die er beim Radfahren gemacht hat.

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Georg

Auch Georg, ein Softwareentwickler und aktives Mitglied eines Lastenradvereins, sieht große Unterschiede im Münchner Radwegenetz: „Wenn man am Lenbachplatz auf dem neuen breiten Radweg fährt, ist das fast wie in einer anderen Stadt. Aber auf der Landshuter Allee hat man einen holprigen, viel zu schmalen Streifen neben vier Spuren Autoverkehr. Da merkt man, wie es sein könnte – und wie es ist.“

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Man sieht einen gelungenen Radweg

Hier wurde der Radentscheid bereits umgesetzt: klare Abgrenzung zur Straße, sowie keine Gefahr durch sich öffnende Autotüren.

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Rudolf Pracht

Dass München nicht nur könnte, sondern müsste, zeigt ein Blick auf den Radentscheid von 2019. Damals hatte der Stadtrat die Forderungen zweier Bürgerbegehren übernommen. Ein sicheres, lückenloses Radwegenetz wurde versprochen. Bis 2025 - also noch in diesem Jahr - sollten hundert Kilometer neuer, sicherer Radwege entstehen. Bisher sind davon aber nur etwa zwei Kilometer realisiert oder im Bau.

Die Stadt selbst verweist darauf, dass sie die Ziele des Radentscheids umsetzt – wenn auch langsamer als von vielen erhofft. Laut dem Mobilitätsportal „München unterwegs“ wurden bis Anfang 2025 Maßnahmen für zentrale Straßen wie die Lindwurmstraße, Schwanthalerstraße oder den Thomas-Wimmer-Ring beschlossen. Teile des Altstadt-Radlrings – etwa an der Blumenstraße – sind bereits gebaut, weitere folgen. Insgesamt gibt es in München derzeit 96 Fahrradstraßen mit rund 44 Kilometern Länge. Die Stadt betont, dass viele Maßnahmen in Planung oder im Bau seien, etwa an der Boschetsrieder Straße oder der Elisenstraße. Der Ausbau der Radinfrastruktur sei ein „zentrales Ziel“, das mit Nachdruck verfolgt werde.  Als Gründe für die Verzögerungen nennt sie komplexe Abstimmungsprozesse, rechtliche Vorgaben und begrenzte Ressourcen. 

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Man sieht Andreas Schuster, Experte für nachhaltige Mobilität

Andreas Schuster, Mobilitätsexperte beim Verein Green City und SPD-Stadtrat.

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Andreas Schuster

Andreas Schuster, Experte für nachhaltige Mobilität und SPD-Stadtrat, zieht eine ernüchternde Zwischenbilanz: „Es gibt fast keine Routen, auf denen man von Anfang bis Ende auf einer sicheren Radverkehrsinfrastruktur fährt. Die Radwege enden im fließenden Autoverkehr.“

Schuster nennt als Ursachen: Flächenkonflikte, Kosten, politische Blockaden. Der politische Wille zur Veränderung sei vorhanden, aber nicht gleichmäßig ausgeprägt. „Einige Projekte werden tot diskutiert, bevor sie auf die Straße kommen." Schuster betont besonders die Rolle einer „organisierten Gegenbewegung“, die sich teilweise aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammensetze und gezielt gegen die Neuverteilung des Straßenraums stelle. Dadurch würden wichtige Projekte verzögert oder abgeschwächt. „Viele empfinden die jetzige Situation als gerecht, obwohl Radfahrende täglich benachteiligt werden.“ 

Gerade für Kinder sei das Radfahren in der Stadt oft gefährlich. Das sehe man auf Social Media Kanälen: „Kameraaufnahmen zeigen, wie oft es beinahe kracht.“ Schuster fordert daher, dass Radfahrer besser geschützt werden, mit baulich getrennten Hochbordradwegen: „Nur wenn sich Kinder sicher fühlen, wird das Radfahren als echte Option für alle akzeptiert.“

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Radfahrer und Bus müssen zusammen in einem Kreisverkehr fahren.

Kreisverkehr ohne Radweg - das kann gefährlich werden. Wenige Minuten vor der Aufnahme fuhr ein Porsche mit überhöhter Geschwindigkeit hindurch.

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Rudolf Pracht

Bei der Radsternfahrt am 18. Mai 2025 sind laut Veranstalter 16.000 Menschen mitgefahren. Trotzdem: „Ich habe niemanden in der politischen Landschaft darüber reden hören“, sagt Schuster. Für Anne-Charlotte, Stéphane und Georg bleibt das Fahrrad dennoch das Mittel der Wahl. Trotz Engstellen, trotz Konflikten mit Autos. „Wir sehen, dass sich etwas tut. Aber es geht zu langsam. Es fehlen durchgehende, sichere Strecken. Und der Mut, wirklich Fläche neu zu verteilen“, sagt Stéphane.

Ein Artikel von

Nils Bittrich
Rudolf Pracht