Klinikclowns: Idealisten mit roter Nase
Leuchtende Weihnachtsdeko, ein geschmückter Baum und es duftet nach frischen Waffeln, sobald die Schiebetüren des Kompetenzzentrums für Demenz in München aufgehen. Im Eingangsbereich stehen Claus-Peter Damitz und Yueh Weber-Lu, sie unterhalten sich. Aktuelle Corona-Schnelltests werden vorgezeigt und ihre Anwesenheit dokumentiert. Jetzt kann die Arbeit als Clown losgehen.
Hinter ihnen stehen drei große Taschen und ein sperriger Gitarrenkoffer. Die Hausleitung Christiane Ziesemer empfängt beide herzlich und führt sie in ein Besprechungszimmer. Aus den Taschen werden Clownskostüme gezogen, die mitnichten mit einem herkömmlichen Faschingssortiment vergleichbar sind. Bunte Tücher, Federn und Perücken - Unikat und Arbeitskleidung zugleich.
Damitz und Weber-Lu gehören zu den "KlinikClowns Bayern", einem Verein, der dem Dachverband der “Clowns in Medizin und Pflege Deutschland e.V.” angehört. Seit 1998 führen die mittlerweile 69 professionellen Clowns aus Bayern regelmäßig “Visiten” in Krankenhäusern, Hospizen und Seniorenheimen durch. Mit dem Demenzzentrum arbeiten sie seit 2015 zusammen. Ihr Ziel: Menschen aller Altersgruppen zum Lächeln und Lachen zu bringen und so für Abwechslung im oft trüben Alltag zu sorgen. Laut dem Dachverband werden nur ausgebildete Clowns, Schauspieler und Künstler mit entsprechender sozialpädagogischer Ausbildung engagiert.
Vorfreudig ziehen sie sich ihre gestreiften Socken und bunten Kleider an. Aufgrund der Coronavorschriften für externe Besucher wird die rote Clownsnase mit einem Magneten auf der Maske befestigt. Aus dem 62-Jährigen Damitz wird Professor Baldur Bommel und die 59-Jährige Weber-Lu schlüpft in die Rolle der Lulu.
In einem festlich dekorierten Raum sitzen zehn Senioren in gemütlichen Sesseln mit Decken auf ihrem Schoß. Bei Erscheinen der Clowns huscht bei den meisten ein erstes Schmunzeln über das Gesicht. Andere wiederum schlafen oder scheinen in ihren Gedanken versunken zu sein. Bommel und Lulu beginnen mit dem ersten Lied “Süßer die Glocken nie klingen”. Ein alter Weihnachtsklassiker, der viele mit einstimmen lässt. Leise aber bestimmend, auch die Füße einiger Bewohner wippen im Takt. Je länger die Clowns spielen, desto aktiver werden die Senioren und fangen fangen an, mit den Clowns zu interagieren. Alle werden in Bommels und Lulus Programm einbezogen, auch die eher Ruhigeren, indem zum Beispiel ein kleiner Smalltalk bei der Suche nach dem nächsten Lied hilft. Insgesamt bieten die beiden Clowns eine Viertelstunde musikalische Unterhaltung für Bewohner und Pfleger. Christiane Ziesemer ist begeistert. Sie weiß die Klinikclowns und deren Arbeit sehr zu schätzen: “Die Augen unserer Bewohner strahlen, und sie blühen richtig auf!", sagt Ziesemer. Die Clowns seien eine gern gesehene Abwechslung. “Sie bringen positives Gedankengut ins Haus, sodass für eine kurze Zeit Sorgen und negative Gedanken vergessen werden können”, sagt die Heimleiterin. Mit der Arbeit der Klinikclowns hat sie in den letzten Jahren nur gute Erfahrungen gemacht.
Mit dem Aufzug fahren sie in die nächste Etage des Demenzzentrums. Damitz und Weber-Lu sammeln sich kurz und atmen tief durch. Auf die Nachfrage, was sie als nächstes erwartet, antworten beide, dass man nie wisse, was komme. Dann lachen sie. Die Fahrstuhltür öffnet sich, die Masken mit der roten Nase aufgezogen - zurück in die Rollen: Hinter der Tür wartet die nächste Gruppe auf ihre Weihnachtslieder. Während die Clowns “Leise rieselt der Schnee” zum Besten geben, herrscht hier eine andere, reservierte Stimmung. Zwar singen die Bewohner zum Teil den Text einwandfrei mit und plaudern mit den Darstellern, doch so ganz will die gute Stimmung nicht überspringen. Nicht alle wollen den Besuch genießen und scheinen sichtlich genervt. Lauter wird es, als ein Bewohner die Clowns harsch unterbricht, da er mit seinem Rollstuhl nicht an ihnen vorbei kommt. Die Situation bringt die Klinikclowns aber nicht aus ihrem Konzept. Bommel hat mit Demenzkranken Erfahrung. Nicht durch seinen Job, sondern weil er schon als Kind auf seine demente Großmutter aufpassen musste. Hier liegt auch die Basis für seine Motivation und Kraft, die er für den Job aufbringen muss. Es sei ihm wichtig, den “Menschen etwas zu geben und sich um sie zu kümmern”. Mit den "KlinikClowns Bayern e.V." hat er seit acht Jahren eine Möglichkeit gefunden, seinen Beruf als Schauspieler und die Leidenschaft, Menschen zum Lachen zu bringen, miteinander zu verbinden.
Weber-Lu dagegen hat einen anderen Zugang zu ihrer Rolle als Lulu. Da sie selbst mit ihrem ersten Kind lange Zeit auf einer Intensivstation verbringen musste, weiß sie genau, wie sich Patienten und Angehörige fühlen. Vor 20 Jahren hat sie über eine Freundin von der Arbeit der Klinikclowns erfahren. “Ich fühlte mich sofort dazu berufen, aufgrund meiner eigenen Erlebnisse anderen Menschen zu helfen und dadurch etwas Gutes zu tun", erzählt sie.
Insgesamt besuchen Bommel und Lulu an diesem Tag fünf verschiedene Wohngruppen. Von herzlichen Umarmungen, bis hin zu Senioren, die desinteressiert den Raum verlassen, sobald die Musik einsetzt, sind die unterschiedlichsten Emotionen vertreten. Eine besonders große Unterstützung bei den Besuchsterminen stellt das Pflegepersonal dar. Die Betreuerin Emanuela sprüht förmlich vor Energie und steckt mit italienischer Lebenslust die Bewohner an. Und es gelingt ihr. So klatscht fast die ganze Gruppe bei dem Lied “Feliz Navidad", heiter mit. "Ich freue mich, wenn die Clowns kommen, weil die Senioren abgelenkt sind. Bommel und Lulu bieten etwas, wollen dafür aber nichts haben”, sagt Emanuela nach dem Auftritt. Dies mache einen enormen Unterschied zu den anderen Aktivitäten und Beschäftigungen im Altenheim.
Damitz und Weber-Lu machen ihren Job aus Überzeugung, um das Geld ginge es ihnen nicht. "KlinikClowns Bayern e.V." finanziert sich ausnahmslos durch Spenden und Fördergelder. Geldgeschenke von Bewohnern oder Patienten leiten die Clowns direkt an den Verein weiter. “Wir werden ab und zu auf einen Kaffee eingeladen, den wir nach unserer Schicht auch dankbar annehmen", sagt der Schauspieler. Weber-Lu nickt ihm bestätigend zu.
Spurlos gehen die zweieinhalb Stunden "Bespaßung", wie die Clowns ihre Arbeit nennen, nicht an ihnen vorbei. Wieder zurück im Besprechungszimmer lassen sich beide erschöpft auf die nächstbesten Stühle sacken. Die Clowns sind zufrieden. Ihre Rollen zu spielen kann anstrengend sein, vor allem in einer Demenzeinrichtung wie dieser. Die Resonanz sei tagesformabhängig und variiere zwischen den Terminen. “Heute war ein guter Tag, dennoch nimmt man das Erlebte immer mit nach Hause”, fasst der 62-Jährige Damitz zusammen. Seine Clowns-Kollegin ergänzt, dass es dabei egal sei, ob es negativ oder positiv ist.
Damitz packt die Gitarre ein. Haarschmuck und Ringelsocken landen zurück in den großen Taschen. Fertig für heute. In zwei Wochen stehen sie wieder im gleichen Raum, ein letzter musikalischer Besuch vor Heiligabend. Am Ende sagen sie noch, dass sie davon überzeugt seien, dass ihre Herzenssache von Bedeutung sei und ihre Arbeit als Klinikclown bei den richtigen Menschen ankommt. Ganz gleich, ob heiter mitgesungen oder nur still beobachtet werde.
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