Gesellschaft

Bauern der Großstadt

Karl Schönherr
Patrick Fein
Sebastian Schmidt
Lesezeit 10 Minuten
Garten in der Stadt
Credit: Fein
In Zeiten von steigenden Obst- und Gemüsepreisen greifen manche Verbraucher auf Altbewährtes zurück: Sie züchten selbst. Urban Gardening heißt der neue Trend, der nun vornehmlich in Großstädten um sich greift. Doch ist der Eigenanbau wirklich die günstige Alternative? Hat Urban Gardening sogar das Potzenzial, die herkömmliche Landwirtschaft zu revolutionieren?
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Zwischen LKW-Waschanlage, Bahn-, und Schlachthof liegt im Münchener Stadtteil Ludwigsvorstadt eine grüne Oase. Hier treffen sich regelmäßig Anwohner, bewaffnet mit Gießkannen, Hacken und Schaufeln, um auf 120 Quadratmetern Kohl, Radieschen oder Paprika anzubauen. Ihr gemeinsames Hobby: Urban Gardening.

Urban Gardening bezeichnet den Anbau und die Ernte von Obst und Gemüse in Städten. Anders als bei konventioneller Landwirtschaft, werden hier keine großen Anbauflächen benötigt, sondern es wird versucht den wenigen Platz, den die Städte noch hergeben für den Anbau optimal zu nutzen. Der Vorteil: Der Garten kann sich seiner Umgebung anpassen. Ebenso braucht es keine teuren Geräte, um effektiv zu gärtnern.

„Nach rechts guckt man gegen bunte Wände, nach links in die Natur, nach oben in den Himmel“, sagt Annette Goller, während sie in die Sonne blinzelt. Goller ist Mitglied im „Bahngarten“, ein Urban Gardening Projekt auf dem Gelände des Clubs `Bahnwärter Thiel´ in Münchens Stadtteil Giesing. Zwischen selbst angebauten Kürbissen, Zucchini, Kohl und einer großen Auswahl Gemüse schlendert sie über den Garten, der ein gutes Stück tiefer liegt als das Gelände, dass den diesen umschließt. „Man lebt abgetaucht“, sagt die 56-Jährige.

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die Gartenanlage neben dem Kulturzentrum "Bahnwärter Thiel" in München.

Die Gartenanlage neben dem Kulturzentrum "Bahnwärter Thiel" in München.

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Es soll ein idyllischer Ort für jeden sein, der Ruhe vor dem stressigen Stadtalltag sucht. Ein Ort, um alle Altersklassen zusammenzuführen und für die Gärtnerei zu begeistern. So lautet das Konzept. "Für Kinder ist es ein kleines Paradies", sagt Goller. „Auch viele Jugendliche treffen sich hier, trinken Bier und sprayen“, so Robert, ein weiterer der 60 Mitglieder des Vereins. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Das Thema Jugendliche habe aber wohl auch seine Schattenseiten. An einer leeren Palette, bleibt der 60-jährige stehen. "Der große Wasserbehälter an der Mauer stand vorher hier. Wir haben nicht genügend Kraft ihn zurückzustellen." Die Jugendlichen bräuchten ihn, um auf die Mauer zu klettern. Sie stellen nach Belieben die Hilfsmittel des Gartens um, so Robert weiter. Das größte Problem sei allerdings der Müll und die Glasscherben, die die Jugendliche nach ihrem Besuch hinterlassen. "Das bleibt alles an uns hängen. Das ist zusätzliche Belastung", sagt Robert. Manchmal verschwinde wohl auch ein Gartenschlauch oder ein Rahmen für ein neues Beet. Einmal wurde wohl ein solcher Rahmen über die bunte Bahnhofsmauer geworfen. "Sie machen es sich selbst kaputt, das hier zu genießen", sagt Robert und zeigt auf die Sitzgelegenheiten, die zumeist zerstört werden. Oft nehmen sich Goller und Robert ihre eigenen Stühle mit, die sie nach dem Aufenthalt wieder mit nach Hause nehmen.

 

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Die Gießwasserbehälter der Anlage.

Das Brauchwasser für das Bewässern der Pflanzen. Dieses wird durch Regenwasser und Wasser, das bei der LKW-Waschanlage erworben wird, befüllt.


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Kreatives Gärtnern: Hier werden Schuhe als Blumentöpfe umfunktioniert.

Kreatives Gärtnern: Hier werden Schuhe als Blumentöpfe umfunktioniert.


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Bei längerer Gartenarbeit ist auch mal eine Pause nötig. Hier werden Stühle von daheim mitgebracht, da die Stühle des Gemeinschaftsgartens häufig geklaut werden

Bei längerer Gartenarbeit ist auch mal eine Pause nötig. Die meisten urbanen Gärtner nehmen ihre eigenen Stühle von zuhaus mit, da die des Gemeinschaftsgartens häufig geklaut werden.


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Ein bewegliches Beet in Form eines Einkaufswagens: So kann man im Notfall jederzeit einen neuen Platz belegen.

Ein bewegliches Beet in Form eines Einkaufswagens: So kann man im Notfall jederzeit einen neuen Platz belegen.


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Das ist nicht das einzige Hindernis, auf das man beim Urban Gardening trifft. Vertraglich ist der Kleingarten daran gebunden ihre essbaren Pflanzen in Hochbeeten anzupflanzen. Aufgrund der erhöhten Luft- und Wasserverschmutzung sind die Böden in vielen Städten durch Schadstoffe besonders hoch belastet, wie es auf der Webseite des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz heißt. Dies trifft auch auf diesen Garten zu. "Der Boden ist kontaminiert", sagt Goller. Allerdings wachse eine Vielzahl an Pflanzen um die Beete herum, denen der Boden nichts ausmacht. Der Schotterboden sei aber sowieso nicht zum Anbau von Lebensmitteln geeignet. Stattdessen beobachten die Kinder eher die Vielzahl an Eidechsen, die zwischen den Steinen verschwinden.

Das Thema Urban Gardening hat inzwischen auch den kommerziellen Sektor erreicht. Unter dem Begriff „Urban Farming“ versuchen Konzerne landwirtschaftliche Produkte in großem Stil anzubauen und die Lebensmittelsicherheit in Großstädten zu unterstützen. So führt beispielsweise die international tätige Firma „Growy“ urbane Farmen in Amsterdam, Singapur und Kuwait. Dabei arbeitet das Unternehmen beim Anbau nicht einmal mit Pflanzenerde, sondern nur mithilfe von LED-Licht und Zellulose, auf welcher die Gemüsesorten angebaut werden. Mithilfe dieser Technik soll es möglich sein, die Pflanzen in einem regalähnlichen System zu stapeln, um die Hallenfläche nicht nur in der Breite und Länge, sondern auch in der Höhe optimal zu nutzen. Diese Methode bezeichnet man auch als „Vertical Farming“.

 

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Das Beet von Elisabeth Rathjen. Hier zu sehen ist ihre "Salatbar", welche zum Anbau von Gemüse dient. Das Kupfer um das Beet herum soll Schnecken daran hindern, die Pflanzen zu fressen.

Das Beet von Elisabeth Rathjen. Hier zu sehen ist ihre "Salatbar", welche zum Anbau von Gemüse dient. Das Kupfer um das Beet herum soll Schnecken daran hindern, die Pflanzen zu fressen.

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„Der vermeintliche Heilsbringer der Lebensmittelknappheit hat aber auch seine Probleme. „Urban Farming ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, eine Konkurrenz zur herkömmlichen Landwirtschaft darzustellen“, sagt Franz Drack, Marketingleiter der Growy Deutschland GmbH. Schuld daran sei vor allem die momentane Unwirtschaftlichkeit des Systems, weswegen Growy seine deutsche Farm auch schließen musste. „Urban Farming ist mit E-Autos zu vergleichen, zu Anfang waren die E-Autos auch viel zu teuer, um für den normalen Bürger erschwinglich zu sein. So ist es jetzt mit dem Anbau von Gemüse aus Vertical Farms“. Auf die Frage, was von Seiten der Regierung für den Ausbau von Urban Farming getan werden kann, findet Drack klare Antworten. „Es braucht europäische Zertifizierungen für den Anbau, wie beispielsweise das Vegan-Label, damit die Konsumenten auch wissen, woran sie sind“, so der Experte. „Des Weiteren verbraucht das Vertical Farming durch die Beleuchtung viel Strom, weshalb sich auch hier für eine Subventionierung stark gemacht werden muss“. Es wird also voraussichtlich noch eine Weile dauern, bevor die Supermarktregale mit den Produkten der urbanen Farms befüllt werden.

Die Herausforderungen der Unternehmen stören Goller und Robert aber nur wenig. Sie haben genau gegenteilige Probleme. Der Verein kann sich vor Mitgliedschaftsanfragen kaum retten. Der Platz ist begrenzt und jedes Stück des Gartens bereits an ein Mitglied vergeben. Die Warteliste ist so groß wie der Verein selbst und man rückt nur auf, wenn ein Mitglied seinen Platz aufgibt. Urban Gardening ist aber auch nur ein Teilaspekt des Vereins. Es stünde das vielmehr das Beisammensein, der Spaß und die Entspannung im Vordergrund. Ein weiteres Vereinsmitglied sagt dazu treffend: „Es lohnt sich ja nicht einmal für den Eigenbedarf, das ist eher ein Spaß“.

 

Ein Artikel von

Karl Schönherr
Patrick Fein
Sebastian Schmidt