Fünf nach zwölf: Inmitten der Klimakrise
Je heißer die Tage sind, desto häufiger bilden sich spontane Unwetter wie dieses hier über Dachau.
Simon Claßen
Heimbewohner Heinz Hecht
Felix Goedel
„Ich hab‘ immer schon Angst, wenn die Wettervorhersage 30 Grad oder mehr ankündigt“, sagt Heinz Hecht, 92 Jahre alt. Er wohnt in einem Dachgeschosszimmer im Altenheim St. Michael im Münchener Stadtteil Berg am Laim. „Ich liege nur noch und warte, dass es endlich wieder kühler wird.“ Im Sommer des vergangenen Jahres konnte er mehrere Tage lang sein Zimmer nicht verlassen. An Spaziergänge im Park oder auch nur den Gang zum Speisesaal war nicht zu denken.
Im Altenheim
Wenn draußen die Sonne brennt, sind in St. Michael die Jalousien herabgelassen. Heimleiterin Anna Pfenninger hat alle Hände voll zu tun, gemeinsam mit ihrem Team die Bewohnenden vor dem Hitzekollaps zu bewahren. Pflegekräfte rennen mit Wasserkaraffen durch die Gänge, wischen Schweiß von Stirnen und hängen feuchte Tücher vor die Fenster. Vereinzelt surren die Ventilatoren, doch die Erleichterung bleibt aus, berichtet Hecht aus seiner Erfahrung. Bei ihm, direkt unterm Flachdach, staut sich die Wärme besonders. Selbst nachts kühlt es kaum noch ab. Die Sommerhitze 2023 war eine der schlimmsten, die er je erlebt hat.
Die Heimleitung bestätigt: „Die letzten zwei Jahre waren extrem.“ Das Gebäude stammt aus den 80er-Jahren. Damals habe man solche Hitzeperioden noch nicht auf dem Schirm gehabt, erklärt Anna Pfenninger. Entsprechend fehle es an baulichen Vorkehrungen: Weder Klimaanlagen noch spezielle Kühlräume standen zur Verfügung, als die Temperaturen über 30 Grad kletterten. Stattdessen improvisierte das Team: Tagsüber abdunkeln, nachts durchlüften, Abkühlungsmöglichkeiten schaffen, kalte Getränke und Speisen ausgeben.
Inmitten der Extreme
Die Beobachtungen in München-Berg am Laim passen ins große Bild, bestätigt Professor Harald Lesch, Naturwissenschaftler und bekannt durch die Sendung Terra X. Man sehe eine deutliche Verschärfung. „Das Extreme wird noch extremer.“
Was Heinz Hecht spürt, beschreibt Lesch wissenschaftlich – aber nicht weniger eindringlich. Er betont, dass die zunehmenden Wetterextreme kein Zufall seien, sondern genau das, was man angesichts der klimatischen Veränderungen erwarte.
Professor Harald Lesch, Wissenschaftler und Moderator beim ZDF.
Maximilian Schönherr / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Wie aus dem Klimastatusbericht 2024 des Deutschen Wetterdienstes (DWD) hervorgeht, waren neun der zehn wärmsten Jahre in Deutschland seit 1881 allesamt nach der Jahrtausendwende. Die Frühlinge und Sommer werden trockener. Gleichzeitig häufen sich die Wärme-Rekorde. Der Sommer 2022 brachte über 30 „heiße Tage“. Das sind Tage mit mehr als 30 Grad Celsius. In vielen Regionen hat sich deren Anzahl damit in den letzten 20 Jahren verdoppelt. „Das ist kein Zufall, das ist Klimawandel“, bringt es Lesch auf den Punkt. Die Hitze ist ein "stiller Killer". Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) gab es im vergangenen Jahr 2.800 Hitzetote.
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Im Wald
Die Entwicklung bestätigt Klaus Hermann, Jäger und Waldbesitzer aus der Schwäbischen Alb. „Die Fichten knicken um wie Streichhölzer“. Das liege sowohl am Wetter, als auch daran, dass es jetzt andere Stürme gebe als früher und stärkere Böen aufträten. Hinzu komme die Trockenheit. Der Boden sei hart, das Wasser ziehe nicht ein. Was früher tiefer in den Boden sickerte, bleibe heute an der Oberfläche und verdunste.
Laut dem Waldzustandsbericht 2024 gilt nur noch jeder fünfte Baum als gesund.
Felix Goedel
Der DWD bestätigt, dass die zum Teil extreme Trockenheit der vergangenen Jahre negative Auswirkungen auf den Wasserhaushalt der Wälder hat. Die Dürre in den Sommern von 2018 bis 2020 führte zum Absterben ganzer Baumbestände und machte sie anfälliger für Schadinsekten wie den Borkenkäfer.
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Auf dem FeldPeter Offermann aus Nideggen in Nordrhein-Westfalen, Landwirt im Ackerbau, sieht sich ebenfalls vor neuen Herausforderungen. Es werde immer schwerer, Aussaat und Ernte zu planen, weil die Witterung so wechselhaft sei. „Entweder extrem nass oder extrem trocken", erklärt Offermann. Darunter leide die Qualität. Besonders beim Weizen fehle in der entscheidenden Wachstumsphase oft das Wasser, sodass sich die Körner nicht richtig entwickelten. Dies führe zu minderwertigem Mehl und schlechter Backqualität.
Das Wasser hat es bei starken Regenfällen schwer, tief ins Erdreich zu sickern. Es staut sich und fließt oberflächlich ab.
Simon Claßen
Dennoch verliert er nicht seinen Optimismus. Man arbeite bereits an hitze- und dürreresistenteren Züchtungen anderer Sorten. Auch das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat bestätigt: „Nur durch Klimaanpassungsmaßnahmen lässt sich gewährleisten, dass qualitativ hochwertige Nahrungsmittel, Futtermittel und Rohstoffe weiterhin in ausreichendem Maß produziert werden können.“
Zwischen Ohnmacht und Aktion
Es fühlt sich an wie fünf nach zwölf – die Katastrophe scheint schon da. Doch Klimaexperte Harald Lesch hat Hoffnung: „Wenn wir uns die weltweiten Zahlen anschauen, dann gehen Photovoltaik- und Windenergie exponentiell durch die Decke“. Während Forschung, Politik und Wirtschaft an großen Lösungen arbeiteten, könne jeder im Kleinen beitragen. Laut Forschung reichten schon drei bis vier Prozent einer Population aus, um einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. „Such dir deine Alliierten, weil das ist die einzige Möglichkeit, ein Netzwerk aufzubauen, von dem aus man dann anfangen kann, anders zu agieren und auch anders zu wirken“, so Lesch.
Zurück im Seniorenheim St. Michael: Hier zeigt sich, wie Klimawandel zur Gesundheitsfrage wird. Heimleiterin Anna Pfenninger bringt es auf den Punkt: „Die Hitze kann für die alten Menschen schnell zur Gefahr werden.“ Kühlwesten, Kühlräume, Klimaanlagen könnten helfen. Doch in vielen Altenheimen fehlt das Geld für große Umbauten. Aber Pfenninger und ihr Team geben nicht auf. Sie haben gelernt, kleine Maßnahmen umzusetzen. Etwa neue Markisen auf der Südseite und ein Kältezimmer im Erdgeschoss, in das sich Bewohnende bei Bedarf zurückziehen können. Der nächste Hochsommer wird kommen. Wenn Heinz Hecht daran denkt, hat er keine Lösung parat. „Man kann nur hoffen, dass es wieder nachlässt“, sagt er.
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