Sport

Fußball als Lebensmittelpunkt – Fankultur in Deutschland

Yannik Mintert
Valentin Hartmann
Lesezeit 6 Minuten
Zwei Kuttenfans vor der Allianz Arena in München

Die Kutte, geschmückt mit zahlreichen Patches und Botschaften, ist in der Fan-Szene ein Symbol für jahrelange Leidenschaft, Identifikation und Zugehörigkeit zur Südkurve München.

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Valentin Hartmann

Ingo lebt für den Fußball. Sein Leben erzählt eine Geschichte von Leidenschaft, Familie, Ultrakultur und Vorurteilen.
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Es ist 5:30 Uhr morgens, als Ingo seine Flugtickets checkt. 200 Euro für Hin- und Rückflug nach Glasgow – er ist Profi darin, günstig zu reisen. Ziel: das Champions-League-Spiel Celtic Glasgow gegen den FC Bayern München. An der Wand hängen Trikots und Schals aus längst vergangenen Tagen. An einem Mittwoch nach Schottland fliegen? Egal. Über tausend Spiele seiner Mannschaft hat er schon besucht. Auch dieses Mal erwartet er einen Sieg.

Fußball als Volkssport

Für viele ist Fußball mehr als nur ein Spiel – er ist Identität, Lifestyle, Lebensmittelpunkt. 2024 zählte das Institut für Demoskopie Allensbach rund 39 Millionen Fußball-Interessierte in Deutschland. Der Volkssport, der mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts von englischen Privatschulen zu uns herüberschwappte, verbreitete sich schnell. Vor allem, weil er so einfach zu organisieren ist. „Man braucht nur zwei Pullis und eine Getränkedose, um Fußball spielen zu können“, erklärt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) der Deutschen Sportjugend in Frankfurt.

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Michael Gabriel als Redner bei einem Podium

Experte Michael Gabriel ist seit über 30 Jahren aktiv in der Fanbetreuung und Fanforschung.

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privat

In der Folge seien Fußballclubs als Repräsentanten von Regionen oder gesellschaftlichen Gruppen entstanden. Ein Beispiel sei der FC Schalke 04, benannt nach einem Stadtteil von Gelsenkirchen, der unter anderem von Bergbauarbeitern einer Zeche gegründet wurde. Der Erste Weltkrieg habe den Teamsport dann so richtig populär gemacht, weil es für die Soldaten eine einfache Art des Zeitvertreibs war. Nach Kriegsende stiegen die Mitgliedschaften in Fußballvereinen in der gesamten Republik rasant an. Ab den 1960er Jahren entwickelte sich eine vielfältige Fankultur, die heute fester Bestandteil des Spiels ist – mit all ihren Kontroversen, aber auch positiven Aspekten.

 

Ein Leben als Fan

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Ingo, ein Mann mitllern Alters der ein Fanschal des Fc Bayern trägt.

Ingo mit Bayernschal.

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Valentin Hartmann

Ingo ist 56 Jahre alt und besucht seit seinem siebten Lebensjahr das Stadion des FC Bayern. Die Leidenschaft für den Verein hat er von seinem Vater übernommen. Für ihn ist es etwas ganz Besonderes, ein Fußballfan zu sein: „Liebe zum Verein und Liebe zur Familie – wenn man das vereinen kann, gibt´s nichts Wichtigeres“, sagt er. Und er kann beides hervorragend vereinen. Seine Frau lernte er 1999 im Sonderzug zu einem Auswärtsspiel kennen. Heute richten sie mit ihren beiden Kindern das gesamte Familienleben nach dem FCB aus. „Der Geburtstag von unseren Eltern ist nicht so wichtig wie der Besuch des Bayern-Spiels“, betont der gelernte Buchhalter.

Früh engagierte sich Ingo ehrenamtlich im Fanclub Red United, aus dem später der Club Nr. 12 hervorging – eine unabhängige Vereinigung aktiver Bayern-Fans. Mittlerweile zählt allein der FC Bayern von den Alpen bis zur Nordseeküste und im Ausland über 4.000 Fanclubs. Gegründet wurden sie, um sich in den Regionen, auch fernab von München, zu vernetzen, aber auch um besser an Eintrittskarten zu gelangen. Als Dachverband koordiniert der Club Nr. 12 Auswärtsfahrten, vertritt Faninteressen und plant Choreografien. Dort hat Ingo jahrelang die Bus- und Zugfahrten zu Auswärtsspielen organisiert und im Partywaggon den DJ gespielt. Mittlerweile sitzt er im Rat, wo er sich regelmäßig mit anderen langjährigen Mitgliedern über Fanpolitik austauscht. Der Rat ist zu vergleichen mit dem Vorstand eines Vereins oder Unternehmens.

Das Phänomen der Ultras

Auch mit den Ultras stimmen sie sich ab – einem zentralen Bestandteil der Fankultur. Die Ultrabewegung kam in den 90ern aus Italien. Der Begriff aus dem Lateinischen bedeutet so viel wie "darüber hinaus" oder "jenseits". Denn diese Fans engagieren sich weit über das normale Maß hinaus für ihren Verein. Früher war die Stimmung im Stadion vom Spielgeschehen abhängig – heute wird 90 Minuten lang die eigene Mannschaft mit lautstarken Gesängen angefeuert. Darüber hinaus sind Ultras für Fahnen, Banner, Choreos und Pyrotechnik bekannt. Hinter jeder Choreografie steckt wochenlange, ehrenamtliche Arbeit. Designs werden entworfen, Stoffe bemalt, Gelder gesammelt. Um die 20.000 Euro kostet ein Projekt. Es ist ein zweiter Wettkampf im Stadion entstanden, und zwar der auf den Tribünen. Welche Fanszene schafft es, ihren Verein lauter zu unterstützen? Aktuell zählt die Subkultur in Deutschland etwa 25.000 Mitglieder in über 300 Gruppen. Sechs davon bilden die Ultraszene des FC Bayern.

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Der Südkurvenplatz vor der Allianz Arena, auf dem sich viele FC Bayern Fans vor einem Spiel treffen.

Der Südkurvenplatz mit seinen Verkaufsständen ist der zentrale Treffpunkt der aktiven Bayern-Szene bei Heimspielen.

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Nach Corona stieg das Interesse an der Ultrakultur, besonders unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Fan-Experte Michael Gabriel erklärt, warum: Man finde einen Identifikationsort, ein Wertegerüst, könne sich kreativ ausleben und erfahre schnell Akzeptanz, wenn man für die Gemeinschaft und den Verein Engagement zeige. Er betont: „Du bist in einer großen Gruppe, du kannst dich dann mal stark fühlen, obwohl du nur ein kleines Würstchen bist. Und bei Auswärtsspielen kannst du dann noch fremde Städte erobern. Also das ist alles, was auch attraktiv ist in so einer Jugendphase.“ Ingo machte ähnliche Erfahrungen. Alle seine engsten Freunde kennt er vom Fußball und teilt viele gemeinsame Erinnerungen mit ihnen.

Auch Social Media trägt zur Faszination bei. Ein Beispiel ist der Instagram-Account Bayernkeller. Doch die Szene ist nicht frei von Problemen: Gewalt und Vandalismus nehmen zu. In der Saison 2023/24 wurden in den ersten drei deutschen Spielklassen laut der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze 1.338 Personen verletzt, darunter 306 Polizisten – ein Anstieg von knapp 14 Prozent zum Vorjahr. Setze man diese Zahlen jedoch mit den knapp 29 Millionen Stadionbesuchern pro Jahr ins Verhältnis, könne man mit Recht behaupten, dass Fußballstadien sichere Orte sind, so Michael Gabriel. Statistisch sei der Besuch des Oktoberfestes weitaus gefährlicher. Wichtig ist auch die Unterscheidung: Hooligans verabreden sich außerhalb von Stadien zu Schlägereien – Ultras nicht. „Doch die Grenze verschwimmen zunehmend“, erläutert der Fan-Experte.

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Eine Wand die mit vielen FC Bayern Stickern beklebt ist.

Der Technikraum eines Telekommunikationsanbieters in der Nähe der Allianz Arena.

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Vandalismus durch Graffiti und Aufkleber nimmt besonders in München zu, wo rivalisierende Fans des FC Bayern und des TSV 1860 München um die Vormachtstellung ringen. Laut Gabriel spiegelt das den territorialen Charakter des Fußballs wider. Früher war die Kurve das Revier, heute ist es die gesamte Region. Und so versuchen Fans, das Stadtbild mit ihren Vereinsfarben zu prägen. Auch viele Kilometer außerhalb Münchens findet man noch Reviermarkierungen, häufig an Autobahnen.

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Podcast

Mit den Fans im Gespräch
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„Wenn es allgemein um Fankultur geht, dann beschäftige ich mich sicherlich zwei Stunden am Tag mit Fußball“, erzählt Bayernfan Jonas Schmidt. Mit ihm und weiteren Fans haben wir am 33. Bundesligaspieltag bei der Partie FC Bayern München gegen Borussia Mönchengladbach vor dem Stadion gesprochen.

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Soziales Engagement der Szene

In die Schlagzeilen geraten Fußballfans vor allem negativ – wenn sie randalieren. Weniger bekannt ist das soziale Engagement der Vereinsanhänger. Seit 2012 hat die aktive Fanszene des FC Bayern laut eigenen Angaben über 170.000 Euro an karitative Projekte gespendet. Während Corona organisierten sie Hilfe für Bedürftige. Außerdem setzen sie sich für ein Miteinander in der Gesellschaft ein: Gabriel zufolge waren in den 80ern rassistische und sexistische Beleidigungen im Stadion üblich – heute seien sie selten. Das liege auch an den Ultras, die in ihren Kurven auf einen antidiskriminierenden und respektvollen Umgang achteten. Insgesamt spreche das für einen Erfolg der Fanprojekte.

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Fans strömen an einem Spieltag in die Allianz Arena

Seit 2005 trägt der FC Bayern seine Heimspiele in der Allianz Arena im Münchner Norden aus.

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Valentin Hartmann

Nach dem Spiel in Glasgow ist Ingo zufrieden. Er hat der Mannschaft durch seine Unterstützung zum 2:1 Sieg verholfen. Eine Studie von MasterCard, einem langjährigen Sponsor der UEFA Champions League, bestätigt das: Lautstarke Unterstützung kann die Einsatzbereitschaft einer Mannschaft um bis zu sieben Prozent steigern. Für Ingo war das schon 1996 klar, als er kein einziges Spiel verpasste. Den damals 26-Jährigen kostete es 15.000 D-Mark, um alle Spiele der Saison live zu sehen, aber das war es ihm wert. Jetzt geht es zurück in seinen Heimatort Mühldorf am Inn. In drei Tagen steht bereits das nächste Topspiel in Leverkusen an.

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Besuch bei einem Fußballenthusiasten

Ben’s Keller ist berüchtigt, der Vollblutfan sammelt dort alles, was mit seinem Verein dem FCB zu tun hat. Auf seinem Instagram-Kanal zeigt er unter dem Namen „Der_Bayern_Keller“ seine Sammlerstücke. Doch mit seinem Engagement trifft er nicht nur auf Zuspruch. Wir haben mit ihm in seinem Keller ein spannendes Interview geführt.

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Ein Artikel von

Yannik Mintert
Valentin Hartmann