Ich möchte mit den Spielen auch der Familie wieder etwas zurückgeben
Ein Ruheraum. Eigentlich Halle E. In diesen Rückzugsort dürfen keine Kameras. Hier gibt es nur die Teammitglieder. Die Mitglieder des Team Deutschland. Die deutsche Delegation der Invictus Games 2023. Ein Sportereignis bei dem einsatzversehrte Soldatinnen und Soldaten bei sportlichen Wettkämpfen antreten. Hier gibt es keine Dienstgrade, keine Titel noch nicht einmal Nachnamen. Hier sind alle per Du. Das Team Deutschland wirkt wie eine große Familie. Eine Familie die gemeinsam auf ein großes Ziel hinarbeitet.
Die Invictus Games finden dieses Jahr zum sechsten Mal statt und werden in der nordrhein-westfälischen Hauptstadt Düsseldorf ausgetragen. Und damit zum ersten Mal in Deutschland. Für dieses Großereignis bereiten sich die Athleten, Trainer, Psychologen, Physiologen und Mentoren in der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf vor. Während ihrer Vorbereitung ist der Ruheraum ein zentraler Ort. Sie bezeichnen ihn als Wohnzimmer. Oder als Dojo, was im Japanischen einen Raum für Kampfkünste bezeichnet. Gekämpft wird an diesem Ort der Ruhe aber nicht. Jedem ist hier die Bedeutung der Tage, noch mehr der ganzen Veranstaltung bewusst.
„Morgens beginnt der Tag mit einer Mobilisationsübung“, beschreibt Jens, Athlet bei den Spielen, einen klassischen Start in den Tag nach dem gemeinsamen Frühstück. „Ich freue mich, wenn man sich morgens zum Frühstück trifft“, sagt er. Er verstehe aber auch die Kameradinnen und Kameraden, die morgens noch nicht oder erst später frühstücken. Für die Dehnübungen liegen orangene Matten in einer Ecke der Halle. Hier hat jeder der Athletinnen und Athleten seinen eigenen Platz. Neben den Matten befinden sich die Kaffeemaschine, Kekse und Getränke. Hier wird jeden Tag neu angerichtet und kleine Belohnungen für das laufende Training bereitgestellt. „Nach unserem morgendlichen Aufwärmprogramm, findet das Teammeeting statt“, sagt Armin. Neben Jens ist auch Armin Athlet im Team Deutschland. „Ich bin dieses Jahr das erste Mal bei den Invictus Games“, erzählt Armin stolz über seine Teilnahme an den Spielen. Während den Teammeetings wird über verschiedene Punkte gesprochen. Die Trainer sitzen vor den Athleten und sprechen über die bevorstehenden Trainingsblöcke des Tages. Hier ist aber auch Zeit für Rückfragen oder wichtige Angelegenheiten der Athleten. Obwohl die Szenerie einer Pressekonferenz gleicht, wirkt die ruhige Atmosphäre und der Duft von Kaffee wie ein Treffen unter langjährigen Freunden.
Die Situation ist besonders und kein klassischer Lehrgang an der Sportschule. Die Vorbereitung wird nicht rein anhand des Leistungsgedanken konzipiert. In Warendorf steht der sportpsychologische und -therapeutische Aspekt deutlich im Vordergrund. Wo andere Länder die Sportler zu Hochleistungsobjekten züchten, geht es hier um die klare Verfolgung der Rehabilitation und Unterstützung der Teilnehmer. Die Ziele sind wichtig. Aber die Ziele definiert jeder selbst. Die Abteilung der Sporttherapie möchte alle bestens vorbereiten, schreiben aber keine Platzierung für die Spiele vor. „Uns ist es völlig egal, ob unsere Athleten den ersten oder den letzten Platz belegen“, erklärt Daniel, Sporttherapeut im Team Deutschland, das Konzept hinter der Vorbereitung. Die Teilnehmer haben nämlich ihre eigenen Ziele und diese gehen vom möglicherweise banal wirkenden zum eigens gesetzten Leistungsdruck. Und wenn es selbst nur wenige Zentimeter mehr oder wenige Sekunden weniger sind als in den Trainingseinheiten.
Denn diese Menschen tragen alle ihre Last durchs Leben. Der Sport soll helfen die Last erträglicher zu machen? Nein. Die Menschen lernen hier zusammen mit professionellem Personal die Last in ihrem Leben zu akzeptieren und sich bewusst damit auseinander zu setzen. Mit Hilfe des psychologischen Personals, aber auch mit Hilfe der anderen Teammitglieder. Man unterstützt sich wie in einer Familie. „Ich dachte mir, Schwimmen, das kannst du ja. Wie du im Wasser liegst, das weißt du“, erzählt Jens von seiner Auswahl der Disziplinen für die Invictus Games. Weiter sagt er: „Bis ich in Warendorf vor dem Schwimmbecken stand.“ Denn da fiel auf, dass das Wasser ein Trigger für ihn ist. „Jetzt möchte ich mir beweisen, dass ich das einfach kann! Dabei helfen mir auch Kameraden, die gleiche Probleme haben“, sagt Jens zu seinem Schwimmtraining. Ein anderer Trigger für Jens ist die Kamera. Bei einer vorsichtigen Frage, ob ein Portraitfoto in Ordnung wäre, kam der gleiche Satz: „Ich möchte mir beweisen, dass ich das kann. Und ich muss es wieder lernen damit umzugehen.“ Neben dem Schwimmen trainiert Jens noch für das Bogenschießen und Kugelstoßen. Das sind nur wenige der angebotenen Disziplinen in Düsseldorf. Rollstuhlbasketball, Tischtennis, Sitzvolleyball, Radfahren. Insgesamt treten die 22 Nationen in mehr als zehn verschiedenen Sportarten an. Für die Trainingseinheiten stehen den Athletinnen und Athleten nicht nur Sporttherapeuten bei Seite.
Christina Schwanitz, ehemalige Welt- und Europameisterin, unterstützt seit diesem Jahr in Warendorf beim Kugelstoßen. „Das ist schon Hammer“, spricht Jens über die Möglichkeit, gemeinsam mit der ehemaligen Hochleistungssportlerin zu trainieren. Obwohl die Bestweiten der gebürtigen Dresdnerin für niemanden zu erreichen sind, mindert das in keinster Weise den Spaß und die Freude beim Training. Neben den fachlichen Hilfestellungen und Übungen zieht sich Spaß und Freude durch jede der Trainingseinheiten. Freude macht den Athletinnen und Athleten dabei nicht nur der Sport an sich, sondern vor allem auch der Gedanke an die Spiele. Die Spiele sind für viele der Teilnehmer nicht nur der Abschluss der Rehabilitationsmaßnahmen, sondern im Schwerpunkt auch eine Familienveranstaltung. Da ist es wieder. Das Wort Familie. Die Zeit der Einsätze, die Zeit davor und danach und die Zeit mit der Verwundung. Diese Zeit prägt nicht nur die Versehrten, diese Zeit hat auch die Familien geprägt. „Ich möchte mit den Spielen auch der Familie wieder etwas zurückgeben“, sagt Armin über seine Pläne bei den Spielen im September.
Deshalb sollen die Invictus Games nicht nur eine Plattform für die Sportlerinnen und Sportler sein. Viel bedeutsamer ist den Athleten hier die Plattform für die Unterstützer der vergangenen Wochen, Monate und Jahre. Die Familie eben. Und dieses eben ist für die Menschen hier in Warendorf kein selbstverständliches Wort mehr. Sie möchten etwas zurückgeben. An die eigene und die gewonnene Familie. Emotional, tränenreich und schwer greifbar schätzen die Athleten die Zeit der Spiele ein. Und dann ist da für Jens auch die Zeit nach den Spielen: „Ich glaube man wird in ein Tal fahren, wenn nicht sogar Loch fallen.“ Dann, wenn der ganze Trubel vorbeigezogen ist.
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