Der Wandel der Bundeswehr
Es ist der 12. November 1955, ein kalter Herbsttag in Bonn. Hunderte Menschen haben sich vor dem Bundeshaus versammelt, um ein historisches Ereignis zu feiern. Die ersten 101 Soldaten der neuen Bundeswehr werden vereidigt. Auch der damalige Verteidigungsminister Theodor Blank, der die Soldaten persönlich begrüßte, spricht ihnen Mut zu. Die Spannung ist spürbar, denn die Gründung der Bundeswehr ist ein Meilenstein für die junge Bundesrepublik. Diese Vereidigung ist ein wichtiger Schritt für die Legitimation der Bundeswehr als Armee, denn erst ein Jahr später wurde dies auch im Grundgesetz festgeschrieben. Theodor Blank überreichte den 101 Soldaten ihre Ernennungsurkunden in Bonn. Blank sagte im Bundestag vor der Ernennung: „Wir wollen Streitkräfte in der Demokratie, die sich dem Vorrang der Politik fügen. Sie sollen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit achten, die staatsbürgerlichen Grundrechte und Grundpflichten ernst nehmen und die Würde des Menschen anerkennen.“ Die neuen Soldaten werden auf die Bundesrepublik Deutschland, das Land das es nun zu verteidigen gilt, vereidigt, so Udo Metzinger, Experte für Sicherheitspolitik und Berater der Bundeswehr.
Die Gründung der Bundeswehr war nicht unumstritten. Viele Menschen hatten noch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs vor Augen und standen einer erneuten Aufrüstung Deutschlands skeptisch gegenüber. Doch die Bedrohung durch den Kalten Krieg und die Notwendigkeit der Verteidigung gegen die Sowjetunion ließen die Gründung der Bundeswehr unumgänglich erscheinen.
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Im Jahre 1956, genau ein Jahr nach Gründung der Bundeswehr, wurden 10.000 Beamte des 1952 gegründeten Bundesgrenzschutzes (BGS) übernommen. Es handelte sich also nicht um Soldaten. Zu Soldaten wurden die BGS-Beamten erst durch die Übernahme, erklärt der Sicherheitspolitik-Experte Udo Metzinger. Durch die Übernahme habe man erfahrenes und qualifiziertes Personal gewinnen können. Gerade im Hinblick auf die Einführung der Wehrpflicht im gleichen Jahr sei dies sehr hilfreich gewesen, da diese später auch als Ausbilder fungieren konnten, so Metzinger weiter. Die Wehrpflicht war ein wichtiger Bestandteil der Bundeswehr und sollte sicherstellen, dass im Verteidigungsfall genügend Soldaten zur Verfügung standen. Aber auch die Wehrpflicht wurde immer wieder kritisiert. Viele junge Männer sahen sich gezwungen, ihren Dienst an der Waffe zu leisten, obwohl sie dies nicht wollten. Erst 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt und die Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee.
Vereintes Deutschland – Vereinte Streitkräfte
Mit dem Fall der Berliner Mauer und der Eingliederung der Nationalen Volksarmee (NVA) im Jahre 1989 konnte die Bundeswehr vorübergehend militärische Fähigkeiten gewinnen - durch die Übernahme von Material, Personal und dem dazugehörigen Fachwissen. Temporär wurden Schützenpanzer vom Typ BMP-1 sowie Sturmgewehre übernommen, die jedoch sukzessive wieder abgestoßen wurden, sagt Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers, Leiter des Projektbereichs Militärgeschichte der Bundesrepublik Deutschland in Potsdam am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften. Langfristig bedeutsam war, so Möllers, die Übernahme von Flugabwehrraketenbewaffnung beziehungsweise deren Sensoren, die in geringer Stückzahl bis heute für die sogenannte ELOKA-Ausbildung (Elektronische Kampfaufklärung) von Kampfflugzeugbesatzungen genutzt werden. Einen weiteren langfristigen Nutzen brachte das Kampfflugzeug vom Typ MiG 29, das bis 2004 bei der Bundeswehr im Einsatz war. Danach wurde es an die polnischen Luftstreitkräfte übergeben.
Nach dem Ende des Kalten Krieges richtete sich die Bundeswehr insgesamt neu aus. Die bis dahin auf Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichteten Streitkräfte standen vor einer Umstrukturierung.
Internationale Konflikte und Einsätze
Das Umdenken in Bezug auf „out-of-area"-Einsätze fand in der Bundesrepublik Deutschland in den 1990er Jahren statt. Mit „out-of-area“-Einsätzen sind Einsätze gemeint, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des NATO-Vertrages stattfinden. Bis dahin waren die Streitkräfte ausschließlich für die Landesverteidigung zuständig. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der zunehmenden Globalisierung wurde die Armee jedoch auch in internationale Konflikte und Einsätze einbezogen. Im Zusammenhang mit dem ersten bewaffneten Auslandseinsatz in Somalia 1993/94 und den Überwachungsmissionen über der Adria im Zuge der Jugoslawienkriege (Operation Sharp-Guard) entbrannte eine innenpolitische Debatte. Dabei ging es um die Frage, ob diese Einsätze durch das Grundgesetz gedeckt seien, welches in Artikel 87a vorsieht, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt. Sowohl die SPD, damals in der Opposition, als auch die FDP, Regierungskoalition, riefen das Bundesverfassungsgericht an.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 wurde die Möglichkeit für Auslandseinsätze geschaffen, wenn der Bundestag zuvor zustimmt, weiß Thomas Wiegold, Journalist und Experte für internationale Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Dies, sagt Wiegold, sei faktisch die Geburtsstunde des Parlamentsvorbehalts gewesen, der allerdings erst Jahre später in Gesetzesform gegossen wurde. Der Parlamentsvorbehalt zeige, dass die Bundeswehr nicht mehr nur zur Landesverteidigung, sondern auch für internationale Einsätze eingesetzt werden könne.
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Der einprägsamste Einsatz
Der bis heute bekannteste Einsatz der Bundeswehr ist die ISAF-Mission in Afghanistan nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Mit der anschließenden Ausrufung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO- Vertrages wurde der Grundstein für das fast 20-jährige Engagement deutscher Soldaten in Afghanistan gelegt. Artikel 5 des NATO-Vertrages besagt, „dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle gilt“. Unmittelbar nach Ausrufung des Bündnisfalls 2001 wurden deutsche Soldaten im Rahmen der „Operation Enduring Freedom" eingesetzt, darunter auch das Kommando Spezialkräfte (KSK). Die Beteiligung an der ISAF-Mission in Afghanistan hat Ende 2001 begonnen, eine Vorbereitungszeit hat es nicht gegeben, so der Journalist und Experte für internationale Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Thomas Wiegold.
Ziel des Einsatzes war es, die USA im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. Auch wenn Deutschland und die Bundesregierung schnell beschlossen haben, den USA und damit ihrem Nato-Partner zu helfen, gab es Bürgerinnen und Bürger, die dies kritisierten. In der Bevölkerung gab es Bedenken sich an einem Krieg zu beteiligen, der die Sicherheit Deutschlands nicht unmittelbar betrifft. Das anschließende Engagement Deutschlands in Afghanistan endete mit der Evakuierungsoperation des Flughafens Kabul im August 2021.
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Das Ende der Wehrpflicht
Ein weiteres wichtiges Thema war die angesprochene Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011. Nach der Auflösung des Warschauer Vertrages und der Wahrnehmung, dass Deutschland „von Freunden umzingelt“ sei, hielten vor allem die CDU/CSU, aber auch Teile der SPD an der Wehrpflicht fest. Die Aussetzung, so unterstreicht Wiegold, sei nur möglich gewesen, weil sich der damalige CSU-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg dafür eingesetzt hat. Dieser konnte sich damit durchsetzen. Eine Wehrpflicht war aufgrund der hohen Kosten und der geringen Einberufungszahlen nicht mehr zu rechtfertigen, erläutert Wiegold.
Die heutige Ausrichtung der Streitkräfte
Auch vor dem Hintergrund des andauernden Krieges zwischen der Ukraine und Russland hat sich die Bundeswehr in den letzten Jahren zunehmend zu einer internationalen Armee entwickelt. Sie ist Teil der NATO-Unterstützung für die Ukraine, beteiligt sich an Friedensmissionen in verschiedenen Teilen der Welt und an Übungen wie der Enhanced Forward Presence (eFP) in Litauen. Die Mission dient der Sicherung der osteuropäischen NATO-Mitgliedstaaten. Die Ereignisse in der Ukraine zeigen, dass die Bundeswehr heute eine wichtige Rolle bei der Verteidigung Europas spielt.
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