Wirtschaft

Zwischen Tradition und Existenzkampf: Münchens Gastronomie im Wandel

Lars Burger
Simon Walz
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Ein Kupferzapfhahn auf dem Tresen des Augustiner-Kellers

In vielen Gaststätten fließen nicht mehr genug Einnahmen. 

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Personalmangel, steigende Kosten, Bürokratie: Täglich kämpfen mittelständische Restaurants mit Herausforderungen. Doch es gibt auch Grund zum Optimismus.
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"164 Stammtische haben wir jetzt", sagt Christian Vogler und deutet auf die massiven, runden Holztische im Innenbereich des Augustiner-Kellers, viele davon mit Plaketten gekennzeichnet. "Als wir 2010 übernommen haben, waren es 57." Die Räume sind leer, denn an diesem sonnigen Dienstagmittag essen und trinken die zahlreichen Gäste im 1896 eröffneten Biergarten. Bis zu 5.000 Menschen finden hier Platz - acht Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. Der langjährige Wirt gibt gerne Interviews und weiß seine Erfolgsgeschichte zu erzählen. Er spricht von einem Phänomen: Während die Gastronomiebranche von Krisen geschüttelt wird, wächst die Sehnsucht nach Gemeinschaft. "Die Leute wollen wieder zusammensitzen, sich in die Augen schauen."

Doch auch Vogler kämpft mit den Realitäten der Branche. "Man will gute Qualität haben, aber trotzdem muss man schauen, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen." Seit der Pandemie sind Lebensmittel- und Energiepreise explodiert. Die Corona-Schulden seines Betriebs sind noch immer nicht vollständig abbezahlt. "Die Bürokratie ist überall ein Riesenthema". Ebenso der Personalmangel. Immerhin, sein Krankenstand ist niedrig, wie er betont. 

Was Vogler erlebt, spiegelt einen Existenzkampf wider, dem sich auch Traditionsgaststätten stellen müssen. So hat zum Beispiel gerade das Café Gugelhupf in der Münchner Altstadt nach 48 Jahren geschlossen, wie auch das Stadtcafé am Jakobsplatz nach 36 Jahren.

Zentrum blutet aus: München als Donut

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Gastwirt Christian Vogler blickt in die Kamera

Inhaber Christian Vogler schildert Höhen und Tiefen seines Berufsalltags.

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Lars Burger

Die Münchner Gastronomie durchlebt einen strukturellen Wandel, den Wissenschaftler des ifo Instituts als "Donut-Effekt" bezeichnen. Wie bei einem Donut entsteht ein Loch in der Mitte: Das Stadtzentrum verliert Umsätze, während Restaurants im Ring der Wohngebiete drumherum profitieren. Dies belegen die Forschenden mit ihrer Studie "Gastronomie im Aufschwung trotz vieler Krisen".


"Das bestätigt genau das, was wir beobachten", erklärt Tourismusreferentin Juliane Berauer von der Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern. Außerhalb der städtischen Wohngebiete nehmen die Umsätze dann wieder ab: "Wenn ich nicht so richtig hinkomme, ist es schwieriger, eine entsprechende Frequenz herzustellen." 

Strukturelle Probleme

Die Dimension wird durch Zahlen deutlich. Thomas Förster, Vizepräsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Bayern, berichtet: "In den letzten Jahren sind zwischen 35 und 40 Prozent der Gastronomiebetriebe auf dem Land aufgegeben worden." In München ist die Gesamtbilanz positiv: Das Bayerische Landesamt für Statistik verzeichnet 2024 1.004 Gewerbeanmeldungen bei 813 Abmeldungen in der Branche. Ein Umbruch, aber kein Gastro-Sterben.

Die "Branchenanalyse Gastgewerbe" der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt das Ausmaß der Personalschwierigkeiten: Keine andere Branche in Deutschland verlor in der Corona-Pandemie einen so hohen Anteil an Arbeitskräften. Jeder vierte sozialversicherungspflichtige Beschäftigte wechselte den Beruf. Viele kehrten nicht zurück, als der Bedarf wieder stieg, denn die Arbeitsbedingungen gelten als schlecht. "Vielfach ist es nicht die Arbeit an sich, die den Menschen zu schaffen macht, sondern die Organisation", meldet die Stiftung. "Die Spätschicht am Wochenende zu übernehmen, ist nicht das Problem. Das Problem ist, erst einen Tag vorher zu erfahren, wann man eingeteilt ist." Ein Drittel der Beschäftigten wollte 2022 gerne die Branche verlassen. 

Der durchschnittliche Monatslohn im bayerischen Gastgewerbe - also in Hotels und Gastronomie - lag laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik im Jahr 2024 bei rund 3.300 Euro. Der Entgeltatlas 2023 der Bundesagentur für Arbeit und auch Bewerbungsportale zeigen an, dass Fachkräfte in der bayerischen Gastronomie kaum über 3.000 Euro und oft deutlich weniger verdienen.  Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat deshalb bereits 2023 einen "Gastro-Start-Lohn" von 3.000 Euro brutto für alle Beschäftigten nach der Ausbildung gefordert.

Voglers Strategien gegen die Personalnot: "Wir bilden sechs Kochazubis aus. Wer jammert, dass er keine Mitarbeiter findet, aber nicht ausbildet, ist selbst schuld." Die Personalkosten musste er um 30 bis 50 Prozent anheben, "damit die Leute ihre Familie in München ernähren können."

 

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Ein Blick auf den Augustiner-Keller von Außen

Der Augustiner-Keller zählt zu den bekanntesten Biergärten in München.


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Ein Blick auf einen Stammtisch im Innenbereich des Augustiners

Das Lokal bietet eine rekordverdächtige Anzahl an Stammtischen.


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Blick in die Küche des Augustiner Kellers mit zwei Köchen am Herd

Die Mitarbeitet sind merkbar gut gelaunt. Auch am Herd herrscht ein entspannter Umgangston untereinander.


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Politik verspricht konkrete Entlastung

Die neue Bundesregierung verspricht konkrete Entlastungen für die Gastronomie: Mehrwertsteuer auf Restaurantessen dauerhaft auf sieben Prozent gesenkt, Abschaffung der Bonpflicht und 25 Prozent weniger Bürokratiekosten, umgesetzt bis Ende 2025. "Der Staat soll als Ermöglicher statt als Verhinderer auftreten", so Walter Nussel, Bayerns Beauftragter für Bürokratieabbau. 

Das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München erkennt Probleme in den eigenen Prozessen: "Lange Genehmigungsverfahren für Außengastronomie binden Ressourcen." Die Stadt reagiert mit dem Innenstadtkonzept 2040: "Verkehrsberuhigung und Ausbau der Fußgängerzonen, wie etwa die Umgestaltung der Sendlinger Straße, um mehr Raum für Außengastronomie und Fußgänger zu schaffen".

Während Branchenvertreter laut einer Konjunkturbefragung der Industrie- und Handelskammer "pessimistisch auf die nächsten Monate" blicken, stieg die Zahl der Beschäftigten in der Gastronomie in München laut dem Referat für Arbeit und Wirtschaft im Jahr 2023 um rund fünf Prozent.

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Erfolg trotz Herausforderungen

Während die Branche kämpft, blickt Vogler optimistisch in die Zukunft: "Ich glaube, dass wir weiter erfolgreich sein werden. Auch, weil ich eine gute Mannschaft habe, die fleißig ist und Gas gibt." Seine Bilanz fällt eindeutig aus: "Letztes Jahr hatten wir das beste Jahr aller Zeiten".

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Lars Burger
Simon Walz