Campus

Zuhause auf Wohnebene

Maximilian Dietrich
Andreas Geyer
Frauke Oestreich
Patric Sievert
Lesezeit 9 Minuten
Soldatin auf Wohnebene der Unterkünfte der UniBw.
Den Soldatinnen und Soldaten der Universität der Bundeswehr München stehen während ihrer Studienzeit Unterkünfte auf dem Campus zur Verfügung.
Credit: Frauke Oestreich
„Zuhause ist man da, wo …“ - Ja wo eigentlich? Die Distanz zwischen Dienst- und Herkunftsort verändert vieles. Nicht selten auch den Ort, an dem man sich zuhause fühlt.
Lesezeit 9 Minuten

„Klar, komm vorbei! Wir sind auf der Wohnebene, essen noch“, antwortet Adrian* auf die Frage, ob er Zeit für ein Interview habe. „Wir”, das sind außer dem 22-Jährigen, seine Freundin Tessa*, ebenfalls 22 Jahre alt und einige ihrer Mitbewohner. Die Wohnebene, auf der sie beim Abendessen zusammensitzen, ist ein Zwischengeschoss in der Mitte eines in die Jahre gekommenen Langbaus. Eigentlich ist es ein breiter Flur. Zwei Sofas, einige Tische und buchen-furnierte Bücherregale reihen sich aneinander. Dazwischen stehen vereinzelt Pflanzkübel. An den kurzen Enden wird die Ebene von je einer weiß-vergilbten Küchenzeile begrenzt. Das braune Holzgeländer des Wohn-Flurs wird nur durch die drei abgehenden Treppen unterbrochen. Von dort geht es zu den 36 Stuben der Hausgemeinschaft.

Zuhause. Das Elternhaus, ein Gefühl der Geborgenheit oder doch die eigenen vier Wände. Ein Ort, der für jeden eine andere Bedeutung hat. Während so für die einen die Universität der Bundeswehr München (UniBw) zur Wahlheimat wird, trennen andere stärker zwischen Dienstort und Heimat und pendeln trotz großer Distanzen regelmäßig.

 

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Tessa und Adrian sitzen auf Wohnebene.
Adrian und Tessa wohnen seit zwei Jahren in den Unterkünften der UniBw.
Credit: Maximilian Dietrich

Zimmer sagt man hier nicht. Die Bewohner sind ausnahmslos Soldaten - Soldaten wohnen in Stuben. Sie alle sind studierende Offiziere oder Offizieranwärter an der Universität der Bundeswehr in München. Die Anzahl der zivil Studierenden liegt im niedrigen dreistelligen Bereich. Die Mehrheit ihrer rund 3800 Mitstudierenden sind also nicht nur Kommilitonen, es sind ihre Kameraden. 

Der Zaun mit Stacheldraht um das Unigelände steht dabei in keinem Widerspruch zur Freiheit der Lehre. Campus-Kaserne oder Kasernen-Campus - beides hört man hier trotzdem nicht gerne. Die berechtigterweise strikte Trennung von akademischer und militärischer Ausbildung stößt jedoch spätestens „auf Stube“ an ihre Grenzen. „Sieht bisschen wild aus hier, sorry!“, sagt Tessa. Adrian lacht. Erst auf den zweiten Blick lassen sich unter der ausgebreiteten Ausrüstung Indizien für sein Psychologiestudium finden. Am letzten Wochenende sei er auf einem militärischen Wettkampf in Dänemark gewesen, erst gestern nach Hause gekommen und gerade noch am Auspacken. Zuhause, das sei für ihn hier. Auch wenn er kein gebürtiger Münchner ist. „Kurzfristig zumindest, solange wir noch hier an der Uni sind.“ Seine Freundin stimmt ihm zu: „Ja, das ist schon unser Lebensmittelpunkt hier. Aber wenn ich meine Eltern in Stuttgart besuche, dann sage ich auch, ich fahre nach Hause. Also beides irgendwo.“

 

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Adrian räumt sein Auto raus, das vollgepackt ist von der letzten Übung.
Als Soldat ist man viel unterwegs. Doch vier Jahre Standortsicherheit während des Studiums, machen München für Adrian zum neuen Zuhause.
Credit: Maximilian Dietrich

Mit der gefühlsmäßigen Heimat am Studienort gehört Adrian zu einem kleinen Teil von 747 befragten Studierenden an der UniBw. Nur rund 12,6 Prozent waren sich sicher oder tendierten dazu, sich an der Universität mehr zuhause zu fühlen als am eigentlichen Herkunftsort. Knapp ein Viertel der Befragten fühlen sich an beiden Orten zuhause. Mehr als 60 Prozent sehen ihr Zuhause an einem anderen regelmäßigen Zielort. Die Mehrheit gab eine durchschnittliche Reisezeit zwischen Heimat- und Dienstort von 4:24 Stunden an. Adrian gehört in die Gruppe, die im Schnitt 6:18 Stunden reisen und liegt damit knapp zwei Stunden über dem Wert der Mehrheit. Dass die veranschlagte Reisezeit auch einen Einfluss auf das Pendelverhalten der Studierenden hat, zeigte bereits eine zurückliegende Befragung. 

Zuhause ist in diesem Zusammenhang nicht immer mit dem Besitz einer eigenen Wohnung gleichzusetzen. Eine Tendenz zeichnete sich bei der aktuellen Befragung allerdings ab. 55 Prozent derjenigen, die sich an einem anderen regelmäßigen Zielort als der Universität zuhause fühlen, gaben an, eine eigene Wohnung zu haben. In der Vergleichsgruppe, die sich zumindest teilweise an der Uni zuhause fühlt, trifft das nur auf 21,28 Prozent zu.

„Vor kurzem hätte ich da noch anders geantwortet. Aber ich habe meine Wohnung aufgegeben“, meint Adrian. Sein letzter Wohnort in der Oberpfalz sei zwar nicht so weit entfernt gewesen, seitdem er und Tessa zusammen sind, verbrächten sie aber so viel Zeit in München, dass es sich einfach nicht mehr gelohnt habe die Wohnung zu halten. Schwer gefallen sei ihm die Entscheidung nicht.  

„Ich glaube, dafür sind wir beide schon zu oft umgezogen“, wirft Tessa ein. Adrian ist in Niedersachsen geboren, nach wenigen Jahren ist seine Familie aber nach Bayern gezogen. Dort folgten weitere zehn Umzüge. Mit mehr als einem Dutzend Wohnortwechsel in Baden-Württemberg ist auch seine Freundin Umzug erprobt. „Ich hatte immer mehr Fernweh als Heimweh“, sagt sie. Die regelmäßigen Besuche bei ihren Familien seien den beiden aber trotzdem sehr wichtig. „Und ansonsten kann ich mich überall so einrichten, dass ich mich zuhause fühle“, betont die angehende Heeresoffizierin.

"Ich hatte immer mehr Fernweh als Heimweh."

 

Eine Fähigkeit, die sie in der Zukunft wohl brauchen werden. Auch wenn die Bundeswehr mehrere hundert Dienststellen in Deutschland zählt, ist die Auswahl für den oder die Einzelne oft begrenzt. Die Zugehörigkeit zur jeweiligen Teilstreitkraft und Truppengattung, aber auch die Verfügbarkeit von freien Stellen bestimmt maßgeblich, wo der zukünftige Dienstort sein wird. Neben der Universität in München unterhält die Bundeswehr lediglich eine weitere Hochschule in Hamburg. Allerdings mit anderen Studiengängen. Nicht jeder kann oder will dort studieren. Eine geringe Standortauswahl bedeutet für viele Soldaten eine große Distanz zum eigentlichen Herkunftsort. Die Befragung der jungen Offiziere und Offizieranwärter in München zeigt: Wer aus dem Westen, Nordwesten und Norden der Bundesrepublik kommt, wird am seltensten pendeln. Eine tägliche Heimfahrt ist fast ausschließlich denen vorbehalten, die aus dem Münchner Umland kommen.

Für ihre ersten Verwendungen in der Truppe stehen Tessa drei Standorte zur Auswahl, Adrian fünf. Im besten Fall liegen dazwischen zwei Stunden Fahrzeit - im schlechtesten Fall neun. Einer von beiden werde pendeln müssen, ist sich das junge Paar einig. „Es bringt ja auch nichts, wenn beide ewig fahren und wir uns am Wochenende in der Mitte treffen. Dann ist man dort auch nicht zuhause“, ergänzt die derzeitige Wahl-Münchnerin. „Gelegentlich sprechen wir darüber, wie das mal wird. Aber wir haben uns bewusst für diesen Job entschieden. Was damit verbunden ist, war uns von Anfang an klar. Die Standorte sind da, wo sie sind und man wird gebraucht, wo man gebraucht wird.“ Wenn wenigstens einer von beiden an seinem Standort wohne, sei das besser. Dann wollen sie sich auch wieder eine gemeinsame Wohnung suchen. Mit Zimmern statt Stuben, einem Garten ohne Stacheldraht auf dem Zaun und einem Wohnzimmer ohne Geländer.

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*Die Namen wurden geändert.

Ein Artikel von

Maximilian Dietrich
Andreas Geyer
Frauke Oestreich
Patric Sievert