Gesellschaft

Rauferei vor Münchner Bar: Zivilpolizisten müssen sich wehren

Jonas Hackbusch
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Eingang des Amtsgerichts in München
Durch diesen Eingang beim Münchner Amtsgericht mussten die beiden Angeklagten gehen. Sie waren nicht das erste Mal vor Gericht.
Credit: Jonas Hackbusch
Bier, Cocktails und Koks - diese Mischung müssen zwei Angeklagte vor dem Münchner Amtsgericht teuer bezahlen.
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München - Kein einziger Platz auf den Zuschauerrängen ist mehr frei, als im Mai 2023 eine Verhandlung wegen gefährlicher Körperverletzung beginnt. Kurz vor dem Auftakt trifft im Münchner Amtsgericht eine Schulklasse ein, knapp 30 Schüler füllen den Saal. Gespannt holen sie ihre Arbeitsblätter raus, auf denen sie einzeichnen sollen, wer wo sitzt. Gegenüber schaut der Richter in Begleitung einer Referendarin noch in seine Unterlagen und der Protokollführer blickt auf seinen Computerbildschirm. Rechts haben die Staatsanwältin sowie die Sachverständige Platz genommen. Auf der linken Seite sitzen die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern. Beide sind um die 30, einer arbeitet in einem Tattoostudio, der andere war bis Dezember letzten Jahres im Sicherheitsdienst tätig. Vor den Augen der Jugendlichen erzählen die zwei nacheinander, wie sie am 27. September 2022 literweise Bier und Cocktails zu sich nahmen. Kokain wurde im Verlauf des Abends auch noch konsumiert.

 

Endstation vom Rausch: Polizeigewahrsam

 

Um halb 4 in der Nacht wurde die Polizei alarmiert, dass vor dem Münchner Nachtclub "089" eine Frau unsittlich berührt wurde. Um eventuelle Täter nicht schon beim Eintreffen des Polizeiautos zu alarmieren, fuhr eine zivile Streife zum Ort des Geschehens. Nicht nur die Polizeihatte die mutmaßliche Belästigung der Frau mibekomment, sondern auch die beiden Angeklagten R. und K., die im "089" ihren Rausch durchlebten. Zufällig hörten sie, was vor dem Club vor sich ging. Der breit gebaute K. beschloss, rauszugehen und der mutmaßlich belästigten Frau zu helfen, R. folgte ihm. Die beiden sahen, wie zwei Männer eng bei der Frau standen und traten ihren Rettungsversuch an. Was sie nicht wussten: Es handelte sich um die beiden zivilen Polizisten, welche den Vorfall aufnahmen.

„In meiner ganzen polizeilichen Laufbahn habe ich noch nie so ein hohes Aggressionspotenzial gegenüber Polizisten gesehen." So schilderte der Zeuge Polizeiobermeister J., wie K. seinen Kollegen packte und unter den Armen festhielt. Nachdem auch das Vorzeigen des Dienstausweisen nichts brachte, rief J. Verstärkung bei der Wache. Währenddessen half R. seinem Kumpel, den zweiten Polizisten zu fixieren und umklammerte fest seinen Nacken.

Die beiden Angeklagten können sich vor Gericht nur noch schemenhaft an die Situation erinnern. Grund hierfür könnte, wie die Sachverständige schildert, die zwei Promille im Blut der Angeklagten sein - zusammen mit Kokain eine aggressive Mischung.

Erst als der Zeuge J. seine Dienstwaffe vor den beiden Angeklagten auf den Boden richtete, konnte sich sein Kollege befreien. Als im Hintergrund das Martinshorn ertönte und das Blaulicht näher kam, gerieten R. und K. in Angst und flohen. Nur wenige Hundert Meter weit schafften sie es, bis sie von den zur Unterstützung herbeigeeilten Polizisten gestellt wurden.

 

Übergriffe auf Polizeibeamte sind häufig

 

Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ist keine Seltenheit. Durchschnittlich gab es im Jahr 2021 allein in Bayern jeden Tag zwölf Delikte körperlicher Gewalt gegen Beamte. Dabei spielt oft Alkohol eine große Rolle, genau so wie bei R. und K.

Was wird dem Angeklagten vorgeworfen? Die freie Zeile hinter dieser Frage auf dem Arbeitsblatt der Schüler reicht bei Weitem nicht aus, um den Tathergang aufzuschreiben. Acht Monate später sitzen die beiden Männer hier sichtlich bedrückt. Mehrmals erzählen beide, wie sehr es ihnen leidtue und, dass sie niemals so gehandelt hätten, wenn sie damals gewusst hätten, dass es Polizisten sind.

Doch auch vor der Tat war ihre Weste nicht weiß. Beim Angeklagten R. steht lediglich der Punkt Beleidigung im Vorstrafenregister, beim Kumpel K. sieht es hingegen anders aus. Fahren ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Besitz von Betäubungsmitteln, Sachbeschädigung - die Liste ist lang. Zu Gute kommt den beiden, dass sie bei der Tataufklärung behilflich waren und Reue zeigten. Dafür müssen sie unterschiedlich büßen.

 

Gemeinsame Tat - unterschiedliche Strafen

 

Höhepunkt für alle Prozessbeteiligten: Der Richter verliest das Urteil. So ruhig war es bis zu dem Zeitpunkt kein einziges Mal im Saal. Selbst das leise Rascheln der Arbeitsblätter der Schülerinnen und Schüler verstummt. Laut Paragraf 224 Strafgesetzbuch drohen bei gefährlicher Körperverletzung sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe, in einem minderschweren Fall drei Monate bis fünf Jahre. In diesem Fall ist der Strafrahmen entsprechend milder zu verschieben, so der Richter. Der Angeklagte R., dem hier eine Mitläufer-Rolle zugesprochen wird, muss 90 Tagessätze zahlen. Da er derzeit keine Einnahmequelle hat und von Erspartem lebt, wird der Tagessatz auf das Minimum von 15 Euro festgesetzt. Die Summe beträgt also 1.350 Euro. K. hingegen gilt bei der Tat als treibende Kraft. Er wird zu fünf Monate Freiheitsstrafe verurteilt, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Zudem muss er 1.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen.

Erleichtert drehen sich beide zu ihren Anwälten um. Einsprüche gegen das Urteil gibt es vor Ort keine. Die Türen öffnen sich, vor dem Saal warten schon die Nächsten. Eine neue Runde beginnt.

 

 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Wahlpflichtmoduls "Gerichtsberichterstattung". 

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Ein Artikel von

Jonas Hackbusch